Samstag, 25. August 2007

Erinnerungen

Schöner deutscher Osten! Schöne Jugendzeit?

Mein Vater, Hermann (1888-1955), war Dampflokomotivführer
bei der Deutschen Reichsbahn. Das Reichsbahn-
Sozialwerk hatte auch Kinder-Erholungsheime. Mein Vater
meldete mich zu einem vierwöchigen Aufenthalt dort an.
Im Ostseebad Ahlbeck auf Usedom verbrachte ich dann diese
Zeit. Das Heim nannte sich "Kaiser Wilhelm Kinderheim".
1931 wurde ich eingeschult, es muss also im Folgejahr gewesen
sein. Als Kinder waren wir von der Ostsee vollauf begeistert.
Die Schwestern trugen Trachten, die Oberin eine sogar
mit Haube. Wir sind viel gewandert und haben Spiele gemacht.
Es gab Schlafsäle für Jungen und Mädchen. Mittagsruhe
etwa 1 1/2 Stunden streng eingehalten. Einmal sind wir auf
den hölzernen Aussichtsturm geklettert. Der hatte sehr viele
Stufen. Von hier hatte man einen wunderschönen Ausblick auf
die See. Eine Schwester erklärte uns warum die Erde eine Kugel
ist. Erst sieht man den Rauch eines Schiffes, dann beim
Näherkommen erst das ganze Schiff. War dies die Erklärung?
Wir haben oft am Strand nach Bernstein gesucht.
BERNSTEIN - das GOLD der Ostsee! Die frische Seeluft ist
uns allen gut bekommen. Einmal haben wir einem Seilmacher
zugesehen. Mit einfachen Hilfsmitteln drehte er den Hanf zu
starken Seilen.
Der Nachbarort war Heringsdorf. Eine schöne Wanderung am
Wasser entlang. Wo waren denn die Heringe? Mit der Klein-
bahn fuhren wir in die Richtung nach Swinemünde. Es war der
Kriegshafen der kaiserlichen Flotte aus dem verlorenen Krieg.
Für die Bäderarchitektur in den Badeorten hatten wir zwar
keinen Blick, aber es war alles naturbelassen und gemütlich.
Die alte Seebrücke mit dem viereckigen Restaurant und den
vier Türmchen war das Wahrzeichen von Ahlbeck. Auch die
Landschaft mit den Kiefern und Föhren war wunderschön. Der
Aufenthalt an der Ostsee war für uns ein unvergessliches
ERLEBNIS.
Nach den vier Wochen fuhren wir mit dem Dampfzug wieder
nach Essen zurück. Der Aufenthalt an der See war unserer Ge-
sundheit sehr von Nutzen.

Die Ostsee sah ich erst 1939 auf einer "Großfahrt" im
LANDJAHR wieder.
Dazwischen lagen aber noch die FERIEN auf den Bauernhö-
fen von Onkel Christian (Vater) und Onkel Hermann (Sohn).

Ferien auf dem Bauernhof

Mein Großvater Wilhelm, geboren 1860, war Bergmann
und schon früh tödlich verunglückt. Meine Großmutter
Marie, geboren 1860, war eine geborene Jöllenbeck.
Sie hatte einen jüngeren Bruder, nämlich Christian. Er war der
Onkel meines Vaters.
Christian war schon früh Witwer geworden. Er wohnte mit
seinen Kindern und seiner Schwester zunächst im Harz und
hatte dort ein kleines ländliches Anwesen. Mein Bruder Heinz
(1917-1997) war dort und hatte Gänse gehütet und geholfen.
Durch die BODENREFORM, ich komme darauf zurück, wurde
Christian und seinem Sohn Hermann je eine Siedlerstelle
im WARTHEGAU übertragen. Sie nahmen sie an. Es waren
kleine Bauernhöfe mit einer Größe von 40 - 50 preußischen
Morgen.
Sie sollten für uns Kinder später unser Feriendomizil werden.
Der Hof von Hermann war in Mellentin und von Onkel Christian
in Tempelhof. Beide Orte lagen im Kreis Soldin. Alles
war fruchtbares Ackerland jenseits der Oder und nahe Polen.
In meinem "Meyer's Neuer Handatlas" ist sogar Mellentin und
Soldin verzeichnet.

Reiseweg dorthin: Natürlich mit der Deutschen Reichsbahn,
wir hatten ja Freifahrtscheine. Die Reichsstraße 1 von Köln
nach Königsberg gab es schon. D-ZUG von Köln nach Berlin
bekam auch die Nr. 1. Der Dampfzug ab Essen Hbf 6.00 Uhr
an Berlin 13.00 Uhr. Die Fahrt in der 3. Wagenklasse
(Holzklasse) war nicht besonders angenehm. Die Rillen im
Holz und die dicken Messingschrauben drückten sich
unangenehm in das Hinterteil. Die Firma MITROPA verlieh
also für 60 Reichspfennige Sitzkissen. Der Schaffner bekam
sie dann wieder zurück. Mit Kartuffel, Kartuffel, Kartuffel
ging es dem Ziel entgegen. Beim Anfahren des Dampfzuges
ergab es diese Tonart.
In Charlottenburg, das Schloss konnte man vom Zug aus sehen,
mussten wir umsteigen. Der hohe und große Wartesaal
und der uniformierte AUSRUFER blieben mir in Erinnerung.
Mit örtlichen Zügen fuhren wir zum Fernbahnhof Stettiner
Bahnhof. Von hier gab es eine Verbindung über
HOPPEGARTEN, STRAUSBERG, KÜSTRIN bis Landsberg
(Warthe). Von hier weiter nach Soldin und dann weiter nach
Mellentin und Tempelhof. Mein Bruder nannte die letzte Strecke
Bimmelbahn. Eine Bahnfahrt von morgens bis abends war
doch sehr strapaziös. Wir waren froh am Ziel zu sein. Die Onkel
holten uns am Bahnhof (ziemlich klein) ab.

Tempelhof (Kreis Soldin)

Erreichbar von Soldin mit dem Zug über Lippehne. Nebenstrecke
von Tempelhof noch zwei bis drei Dörfer weiter. Kleiner
Bahnhof mit Wirtschaft und Schuppen. Hier wurde morgens
die Vollmilch angeliefert und mit dem Zug zur Molkerei
transportiert. Abends Rücklauf mit Molke, Butter und anderem.
Gut Tempelhof, Gebäude im Viereck platziert mit großer
Toreinfahrt. Einwohner etwa 150. Vom Bahnhof führte die
Straße, es waren zuwenige Bäume links und rechts um sie Allee
zu nennen, direkt auf den Gutshof zu. Dann Abbiegung
nach links und etwa nach 500 Metern war Onkel Christians
Hof. Auf der linken Seite als letzte der Siedlerstellen, die links
und rechts, etwa 14 waren es, verteilt waren.
Der Hof bestand aus einem Wohnhaus mit vier großen Räumen,
Küche, zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer. Davor in
voller Breite die Stallungen mit der Scheune. Ein großer
Schuppen mit einer offenen Seite für Geräte und anderem. Die
Tür mit dem Herzchen war an der rechten Seite der Stallungen
(Plumpsklo). Etwa fünf Meter vor dem Hauseingang, zum
Stall hin, befand sich der Brunnen mit der PUMPE. Diese
Pumpe sollte ich dann noch sehr oft bewegen. Auf dem Hof
lebten Onkel Christian, Sohn Heinrich mit seiner Frau Martha
und Tochter LINE und Sohn Wilhelm. War seine Schwester,
unsere Oma, zu Besuch wurde sie auf dem Dachboden untergebracht.
Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch war das Inventar. In
einer Ecke lag das gebeizte Saatgut!
Es herrschte Platzmangel und ich schlief irgendwo. Viehbestand:
7 Stallkühe, 2 Kälber, 2 Pferde, Schweine und Ferkel,
die quiekten wenn sie hungrig waren, Hühner, Enten und Gänse.
Ich war also Ferienkind und HELFER auf dem Bauernhof und
Arbeit gab es genug. Beklagen will ich mich nicht, wenn auch
nicht der Fortschritt dort angekommen war.
Morgens der Ruf: Werner aufstehen, das Vieh hat Durst! Ich
also auf und den Pumpenschwengel hin und her bewegt. Der
angehängte Eimer, wenn er voll war, wurde gleich durch einen
leeren ersetzt. Das Wasser trug jemand von den Jöllenbecks in
die Tröge. Bei 15 vollen Eimern und je 10 Pumpbewegungen
hatten die Tiere genug gesoffen. Abends dann das gleiche
Spiel.
Mir wurde auch die EIERSUCHE übertragen. Überall und versteckt
hatten die Hühner ihre Eier gelegt. Die Eier kamen dann
in einen großen Karton zur Aufbewahrung. Wöchentlich kam
der Eiermann und kaufte sie auf. Vorher wurden sie in einer
Drahtkorbwaage abgewogen, denn er hatte einen Kilopreis.
Nach Eigenverbrauch blieben immer noch etwa vier Kilo zu
bezahlen.
Die Straße geradeaus weiter und dann nach rechts führte nach
Neuenburg mit 900 Einwohnern. Hier gab es einen Bäcker und
einen Fleischer. Der Bäcker wurde mit Korn beliefert wofür es
"Brotmarken" gab. Ein Mal in der Woche holte ich zwei große
längliche Brote ab. Beim Metzger kaufte ich meistens Gehacktes.
Mit einem Damenfahrrad und einem großen Rucksack war
ich unterwegs.
Abwechselnd musste die Milch zum Bahnhof gebracht werden.
Die Kannen fassten 20 Liter und hatten oben am Deckel
eine aufgelötete Kundennummer. Dazu ein Buch für die Molkerei
für die Eintragungen (Lieferung und Rücklauf). Abends
mussten die Kannen wieder abgeholt werden. Holzständer am
Straßenrand waren dienlich. Waren wir an der Reihe, musste
ich immer mit. In diesen Sommern war das Wetter immer gut
und trocken. Vor dem Haus war noch eine kleine Rasenfläche,
die mit einer Hecke umzäunt war. In dem kleinen Garten
rechts neben dem Haus wuchsen etwa 20 Sträucher mit roten
Johannisbeeren. Sie waren vermutlich überdüngt worden, denn
die Dolden hingen groß und schwer herunter. Hierzu hatte ich
freien Zugriff (Selbstbedienung). Tante Martha wollte davon
noch Marmelade kochen, aber wann? Im Nachbardorf waren
noch etwa 5 Morgen Wiese, die das HEU für das Vieh lieferten.
Der erste Schnitt war im Juni, der zweite Schnitt etwa acht
Wochen später. Das Gras musste mit Holzharken von Hand
gewendet werden und es durfte nur vollkommen trocken eingefahren
werden. Beim Wenden und Harken und Einfahren
war ich natürlich dabei. Es wurden noch Kartoffeln und Rüben
angebaut. Ein Teil für die Menschen, der Großteil war für das
VIEH bestimmt. An Getreide wurden Roggen und Weizen angebaut.
Die Felder wurden wechselseitig benutzt. Zuerst wurde
der Roggen geerntet und dann gedroschen. Der Roggen, damals
mannshoch im Wuchs, ist heute um die Hälfte niedriger.
Die Dreschmaschine war von der Siedlergemeinschaft wahlweise
benutzbar. An den Dreschtagen, ja da war etwas los!
Tagelöhner für drei Reichsmark helfen mit und auch bei übrigen
Arbeiten. Zwei Tage das fürchterliche Gebrumme der Maschine.
Das Problem war das STROH. Maschinen, die Ballen
pressten, gab es nicht. Ein Teil in den Stall zum Streuen, die
Tiere konnten ja nicht auf dem blanken Boden machen. Späterer
Dung der untergepflügt wurde. Das andere Stroh kam auf
Halde.
Es war bewundernswert wie die Jöllenbecks die Arbeit auf ihrem
kleinen Hof meisterten. Bei wem hatten sie die Landwirtschaft
erlernt? Tante Martha blieb im Haus und in der kleinen
Küche. Tante Line kochte in der Futterküche für das Vieh. Die
Kühe mussten morgens und abends gemolken werden und die
Milch wurde durch ein poröses Tuch in die Kannen gegossen.
Der Überschuss an Erzeugnissen wurde an Genossenschaften
abgeliefert. Wie viel Gewinn blieb eigentlich übrig? Ich muss
noch erwähnen, dass der jüngste Sohn Wilhelm eine Lehre im
Metallberuf in Lippehne hatte. Jeden Tag fuhr er dort hin.
Meine Oma sprach immer von ihrem jüngsten Bruder Christian.
Vermutlich ist er 1875 geboren, denn dann war er 13 Jähre
älter als mein Vater und sein Onkel. Die Kinder von Christian
passten dann besser in das Altersschema (ab 1900).
Mit Tante LINE fuhr ich öfter mit dem Damenfahrrad zu einem
5 km entfernten See. Er war klar und sandig und mit
Schilf am Rand. Wenn sie sich umzog durfte ich auf keinen
Fall hin sehen! Das Baden im See war wunderbar. Tante
LINE, eine dicke und kräftige Frau, die mit einem Willi Andersen
verlobt war. Willi, auch ein kräftiger Mann mit rötlichem
Haar, hätte gerne geheiratet. Aber der alte Andersen war
stur. Erst nach meinem Tod könnt ihr heiraten und dann bekommt
der Willi auch den Hof. So wurde Tante Line "die ewige
Braut" wie mein Bruder Heinz sagte. Ende des Krieges
wurde Willi noch Soldat und ist auch prompt gefallen. Diese
armen Menschen!
Ich konnte viel Milch trinken und abends gab es oft eine Haferflockensuppe.
Onkel Christian blies die Spelzen vom Mund
aus auf den Boden. Er hatte auch eine große Schnurbarttasse
mit einer Brücke am Rand. Er war ein zäher Mensch ohne Übergewicht,
Wo nahm er nur die Kraft her für diese schwere
Arbeit? Er hatte bestimmt einen starken WILLEN.
Ich erinnere mich an eine Fahrt mit dem hergerichteten Bauernwagen
an einem Sonntag. Tante Martha mit dem Kind, ich
und wer noch? Christian kutschierte und die beiden Pferde zogen
munter den Wagen. An dem Badesee vorbei durch die
herrliche Landschaft, fernab jeder Großstadt. Es war flaches
Land in natürlicher Schönheit. Nach zwei Stunden Hinfahrt
wieder zurück, nachdem der Proviant verzehrt war. Ich erinnere
mich auch an den Soldiner See. Die weiße Holzbrücke am
Rande über den Zufluss der Soldine?
Mein Vater brachte mich einmal nach Tempelhof. Als wir
durch Landsberg (Warthe) fuhren sagte er, dass hier der
HITLER in der Festung in Haft gewesen war. Ein Zeichen später
für mich, dass mein Vater kein NAZI war. Der HITLER
war nämlich in Landsberg am Lech eingesessen.
Mit meiner Mutter Johanna (1889-1934)
war ich auch einmal in Tempelhof. Ich erinnere mich
genau, wie wir in dem kleinen Vorgarten in der Sonne saßen.

Tante Marthas Eltern wohnten am Schweriner See in Pinnov.
Sie hatten etwa 300 Morgen Land und etwas Wald.
Durch ihre Vermittlung war ich mit meiner Mutter etwa zwei
Wochen dort zu Gast. Mein Vater hatte natürlich etwas bezahlt.
Der Bruder von Martha, ein Kriegsveteran, er hatte nur
einen Arm, fuhr uns mit der Kutsche durch die waldreiche Gegend.
Auch dies war ein schönes Erlebnis. In Pinnov wurden
wir gut versorgt und bewirtet. In welcher Jahresabfolge alles
stattfand kann ich heute, nach 70 Jahren, nicht mehr sagen. Ich
war meistens alleine, ob Sommerferien oder Herbstferien, in
Tempelhof untergebracht.
Eine Reise möchte ich noch erwähnen, die Nachtfahrt mit dem
"beschleunigten Personenzug". Unser Vater mit seinen drei
Kindern Heinz, Luise (1919-1998) und Werner brachte uns
nach Mellentin und Tempelhof. Unterwegs wurde unser Wagen
schadhaft und wir mussten umsteigen. In dem Getümmel
hatten wir die Aufforderung hierzu nicht gehört. Ich hatte im
Gepäcknetz geschlafen. So wie wir gekleidet waren rannten
wir über Bahnsteig mit Gepäck und erreichten mit Mühe den
Ersatzwagen (Zug?). Es muss etwa 1930 gewesen sein. Heinz
war auch einmal mit in Tempelhof. Auf dem Nachbarhof war
ein Mädchen namens Dora Voll, das sein Interesse erweckte.
Heinz machte 1936 Abitur mit Auszeichnung und musste danach zum MILITÄR.
1938 war ich noch einmal in Tempelhof
und musste dann zum Landjahr. Ich konnte erst mit 14 Jahren
die Lehrstelle bei der Reichsbahn bekommen.
Als Eisenbahner hatten wir Freifahrten und reisten als Kinder
meistens in der Nähe der Dienstabteile. Unser Vater reiste
auch sehr gerne. Im Dienst trug er Verantwortung musste höllisch
aufpassen.
Wenn er mit uns fuhr war es für ihn fast Erholung. Mit großer
Dankbarkeit muss ich immer an Onkel Christian denken, der
uns als Ferienkinder und Erntehelfer auf seinem Hof aufgenommen
hatte. Mein Vater zahlte zwar immer etwas und gab
immer nutzbare Utensilien mit. Die Jöllenbecks waren sozial
eingestellt und eine sehr fleißige Familie. Vermutlich sind sie
in ihrer Heimat im Krieg alle umgekommen. Der RUSSE muss
ja dort furchtbare RACHE genommen haben.

Nachtrag:

Wann die Bodenreform, Teilenteignung des Großgrundbesitzes
und Schaffung der Siedlerstellen begann, kann ich nicht
genau berichten. Onkel Christian war politischer Leiter (vielleicht
ein Mini-Orts-Bauern-Führer) und sein Sohn Heinrich
war in der SA! Beide trugen nicht sehr oft die braunen Uniformen.
Das neue REGIME wollte sich durch wohlwollende
Unterstützung und Förderung das Bauerntum sichern. Wie viel
Gelder und Leistungen hin und her flossen, Entschädigung der
Großgrundbesitzer usw. ist mir nicht bekannt. Soldin, Mellentin
und Neuenburg ist in "Meyer's Neuer Handatlas" auf Seite
91 verzeichnet. Ich kann verstehen, wenn noch heute die Vertriebenen
den Verlust ihrer wunderschönen HEIMAT betrauern
und beklagen!

Mellentin

Onkel Hermann, der Sohn von Christian, hatte seinen Hof in
Mellentin. Das Gut hieß "Kinderfreude" und hatte über 3000
Morgen Land. Auch hier Enteignung und Schaffung der Siedlerstellen
wie überall. Links und rechts der Straße die neuen
Höfe.
Auf dem Hof lebten Hermann mit seiner Frau Liese und einem
Sohn (Werner). Ferner ein Schwager von ihm, der Wilhelm
Stamm hieß und nur eine Hand hatte. Zeitweise wurde ein
Knecht beschäftigt. Der Hof war über 50 Morgen groß und
war moderner eingerichtet als der Hof seines Vaters Christian.
Vor allem war fließendes Wasser im Stall. Ein Wasserkran direkt
über dem langen Trog der Kühe. Zwei Pferde und mehr
Kühe und anderes Vieh. Hermann baute auch etwas Hanf und
roten Klatschmohn an, weil der Verkaufspreis höher war. Der
STAR des Hofes war HANS, der Zuchteber von vier Zentnern.
Die Bauern brachten die Sauen von nah und fern zum Decken.
Es wurden 5 bis 10 Reichsmark dafür bezahlt. Einmal belud
Onkel Hermann den großen Wagen mit etwa 50 Zentner Roggen.
Er fuhr mit mir zur Mühle nach Pyritz in Pommern. Die
Straßen waren sehr holprig. Mit Hinfahrt und Rückfahrt war
der ganze Tag ausgefüllt. Die beiden Pferde haben tapfer aus
gehalten. In Mellentin war mehr Platz und wir wurden auch
gut versorgt. Neben den Kindern meiner Familie kamen noch die jüngeren
Kinder von Gartenbröcker manchmal hinzu. Tante Mariechen,
die Schwester meines Vater, war deren
Mutter. Der Mann von Mariechen, Onkel Ludwig, war Postbote.
Die Zeit in Mellentin habe ich in guter Erinnerung. Allen
anderen bestimmt auch.
1942 schrieb Onkel Hermann, dass seine Frau krank sei und
der Knecht zur SS gegangen sei. Er brauchte dringend Hilfe
und Kartoffeln müssten noch raus. Ich war damals bei der Güterabfertigung
Steele Hbf beschäftigt gewesen und am
01.07.1942 Reichsbahngehilfe geworden. Mein Urlaubsgesuch
über drei Wochen wurde erfüllt. Also sofort losgefahren und
den Reiseweg kannte ich ja sehr gut. Onkel Hermann spannte
ein Pferd vor den Kartoffelroder und pflügte auf. Im Knien
sammelte ich die Kartoffeln auf in den Korb und in den Sack.
War er voll, dann kam er auf den Wagen. Das Wetter im September
war nicht besonders gut, mal trocken und etwas feucht.
Nach zwei Wochen hatten wir das Feld abgeerntet. Unter unnormalen
Umständen und großer Anstrengung hatten wir es
geschafft. Dies war mein letztes Dankeschön an alle.
Von Tempelhof habe ich nichts erfahren, meinte aber gehört
zu haben, dass Onkel Christian gestorben sei.

Furchtbar ist, der wunderschöne Osten ist für uns immer verloren!

Foto 1930



Onkel Christian
Mutter Frau von Onkel Christian
Onkel August Jöllenbeck
Sohn von Tante Martha Knethe geb. Jöllenbeck
Onkel Jöllenbeck
Cousin von Mutter
Marga
Witwe von Wilhelm (Oma)
Tante Martha Knethe geb. Jöllenbeck
Lydia - Tochter von Tante Martha Knethe
Johanna - Tochter von Tante Martha Knethe
Tochter von Cousine Mutter
Tochter von Cousine Mutter
Heinrich Jöllenbeck
Tante Luise Frau von Heinrich Jöllenbeck
Onkel Hermann Jöllenbeck
Johanna Frau von Hermann
Jöllenbeck
Cousine von Mutter geb. Jöllenbeck
Heinrich Jöllenbeck
Tante Caroline Jöllenbeck
Vater Gartenbröker
Mutter Gartenbröker
August (gefallen)
Hermann
Verwandtschaftsseite Jöllenbeck

Jöllenbeck = Großfamilie, Wehrbauern im Warthegau
Marie, Oma geb. Jöllenbeck, geb.1860, gest.1941
Christian, geb.1875
Heinrich und Martha, ein Kind
Wilhelm
Line
Hermann und Luise
Werner = Kind
Wilhelm Stamm
Auf der Flucht von der Roten Armee getötet (alle)?
Onkel Christian
Bruder von Oma

Verwandtschaftsseite

Gottfried, geb.1814, Uropa
Wilhelm, geb.1860, Opa 1905 tödlich verunglückt
Hermann, geb.1888, Vater
1911/13 IR 67, Metz, Soldat, gest.1955
Wilhelm, Onkel, Soldat, gefallen 1916
Heinrich, Onkel, Soldat, gefallen 1945
Johanna, geb.1889, Mutter geb. Broszat, gest. 1934

Erinnerungen, Landjahr 1939











Ostern 1939 wurde ich aus der evangelischen Volksschule 1 zu
Essen-Kray entlassen. Der Schulrektor Koch war uns allen väterlich
zugetan. Wir mussten ja jetzt von der Schule in die
Welt der Arbeit. Herr Koch kümmerte sich um jeden Schüler
und fragte, ob er auch eine Lehrstelle habe. Durch die Vermittlung
meines Vaters, er war Lokomotivführer bei der Reichsbahn,
konnte ich am 01.02.1940 als Junghelfer bei ihr anfangen.
Am 19.06.1939 wäre ich 14 Jahre alt geworden, was die
Bedingung für die Einstellung war. So musste ich also noch
warten. Rektor Koch wollte mich noch zu einer Schule der
damaligen Lehrerausbildung vermitteln. Wir beschlossen aber,
dass ich das LANDJAHR ableisten sollte. Ich war einverstanden.
Unser Reichserziehungsminister RUST wollte den deutschen
Bauern Arbeitskräfte liefern, weil sie Ernährer des deutschen
Volkes waren.
Die Jungen machten ihr Landjahr und die Mädchen ihr Pflichtjahr.
Wer macht heute etwas freiwillig? Wir wurden also
Landjahrpflichtige und bekamen den Landjahrpass. Einkleidung
mit Uniform und den bewussten Binden war selbstverständlich.
Es bekam auch jeder einen "Affen", aber davon später.
Ostern 1939 war im März sehr früh und wir wurden schon
Ende des Monats auf die Reise geschickt. In den Osten zu den
Bauern die unsere Hilfe brauchten. Noch war Frieden und wir
konnten uns einen baldigen Krieg noch nicht vorstellen. Vom
Bahnhof Essen-Altenessen fuhren wir mit dem Dampfzug über
Berlin in die Grenzmark Posen-Westpreußen. Wo die Dörfer
von Onkel Christian/Hermann waren habe ich ja schon eingehend
beschrieben.
Also von Soldin aus etwa 120 km nordöstlich war unser
Einsatzdorf. Es hieß WARLANG und war ein kleines Kaff.
Bis Anfang Dezember waren wir hier im Einsatz. Auch hier
hatte die Bodenreform gewirkt. In dem lang gestreckten Gutsgebäude
waren wir untergebracht. Die Besitzer, es waren alte
Leute, wohnten noch am linken Ende. Wir sahen sie selten.
Vor dem Bau der wichtige Fahnenmast und davor der Feuerlöschteich.
Das Dorf hatte keine festen Straßen und war schon
etwas älter.
Aber nun zuerst zu unserer Unterkunft und seinen Bewohnern.
70 Jungen aus Kray und Steele, der Lagerführer Herzog mit
Frau und Kind wohnte auch hier. Die vier Gehilfen nannten
sich Gruppenführer.
Robert Griesel war aus Kray, Westphal, Räbiger und Neumann.
Einer trug die schwarze Uniform und sie hatten sich halt
beworben uns im Sinne der Reichsregierung zu erziehen. Zum
Personal gehörte auch die Köchin, Fräulein Valeske, eine sehr
dicke Person. Ihr mussten wir durch unseren Küchendienst
helfen. Unter der Küche war der Waschraum, der Boden war
mit Lattenrosten ausgelegt, weil das Wasser schlecht abfloss.
Unsere Schlafräume waren im Obergeschoss. Die Betten waren
doppelstöckige Holzgestelle. Wir schliefen auf Strohsäcken
und ich hatte das obere Bett genommen. Auf frischem
Stroh schlief es sich leidlich gut, weil wir ja immer müde waren.
WC war nicht vorhanden. Neben der großen Wiese war
eine große LATRINE. Wo sollten auch 70 Jungen ihre Geschäfte
erledigen, wenn kein Fließwasser vorhanden war? Im
Waschraum war nur ein Pissoir. Wir mussten ja mit der Unterkunft
zufrieden sein.
Der Tagesablauf war wie folgt: 6 Uhr aufstehen und ab in den
Waschraum. In den Schlafräumen alle Fenster öffnen, damit
der Mief sich verzog. Danach fertig machen zum Abmarsch
zum Bauern. Vorher gab es noch einen kleinen Happen als
Minifrühstück. Um 8 Uhr mussten wir bei unseren Bauern
sein. Ich hatte einen kurzen Weg und brauchte dafür etwa 10
Minuten. Einige Jungen mussten zu einem entfernten Gutshof,
sie wurden aber abgeholt. Mein Bauer hieß Hass und bewohnte
mit Frau und Kind seinen Hof. Die alte Oma war mir sehr
zugetan, was die Verpflegung anbetraf. Alle waren freundlich
und ich machte die zugewiesenen Arbeiten. Also jeden Tag einen
Kuhstall, einen Schweinestall und einen Pferdestall
AUSMISTEN! Einen Bauernhof kannte ich ja schon von Onkel
CHRISTIAN her. Zwischen Wohnhaus und Stallungen war
der große viereckige MISTHAUFEN. Den Mist lud ich in eine
Schubkarre und über eine breite Holzbohle wurde der Mist auf
dem Haufen entladen. Ich trug Schnürschuhe und graues Drillichzeug
und natürlich die Landjahr-Mütze. Schmutzig wollte
ich natürlich nicht sonderlich werden. Hatte ich gerade den
Kuhstall sauber, da platschte es bei den Kühen hinten heraus.
Der Bauer half mir und streute vorher Stroh auf den Boden.
Halbwegs sauberes Stroh blieb liegen. Etwa 10 Kühe, 3 Boxen
Schweine und 2 Pferde im Stall waren der Viehbestand. Pferde
sind doch die saubersten Tiere was den Dung angeht. Mit
der Zeit wurde der Misthaufen immer breiter und höher. Der
Mist wurde später auf die abgeernteten Felder verstreut.
Soweit der Mist mit dem ich jeden Tag zu tun hatte.
Bei der Feldarbeit und anderen Arbeiten war ich immer als
Hilfskraft tätig. Alle Hofarbeiten und Feldarbeiten wurden also
erledigt, letztere der Jahreszeit entsprechend. Für mich war also
hier die Arbeit immer gleich. Der Bauer gab mir zwei
Reichsmark Lohn wöchentlich. Hiervon mussten wir noch
Zahnpaste, Seife, Schuhcreme usw. kaufen. Der Lagerführer
verkaufte diese Sachen wohl mit etwas Gewinn.
Sonntags blieben wir im Lager und wurden voll verpflegt, wochentags
vom Bauern.
Am Sonntagmorgen hieß es dann "Heiß Flagge", in der Woche
war keine Zeit dazu. Antreten zum Flaggenappell mit dem bewussten
HH-Gruß!
Ausgang mit Besuch beim Bauern war möglich. Sport, Wehrerziehung,
politische Schulung, Singen - immer nach getaner
ARBEIT. Wir waren ja immer müde!
Eines Tages im Waschraum: Kommando Hinlegen und Abwasser
trinken (saufen?)! Der Lagerführer wollte prüfen, ob
wir auch BEFEHLE ausführten? Später bei der Wehrmacht
war ja Befehlsverweigerung strafbar. Im Übrigen verlief alles
so wie es geplant war. Ich war wohl dem Lagerführer wohl
zugetan. Er sagte immer, dass ich mal ein ruhiger Beamter
werde.
Eines Tages schickte er mich mit noch einem Kameraden zum
Landjahr-Bezirksführer nach Falkenburg. Nach 25 km Fußmarsch
kamen wir dort an und stellten uns ihm vor. Am nächsten
Tag wurde eine Vorprüfung gemacht. Man wollte die
Tauglichkeit zur Aufnahme in der Ordensburg Krössinsee testen,
die suchte nämlich Nachwuchs. (AH-Schule)

Ich lehnte ab, weil ich die Zusage von der Reichsbahn hatte.
Der Kamerad nahm an. Ob er den Krieg überlebte? Danach zurück
nach Warlang. Ein wunderbares Erlebnis für uns alle war
die GROSSFAHRT von etwa drei Wochen. (2 Gruppen) Zuerst
Richtung Swinemünde zu Fuß. Dann mit dem Schiff nach
Stralsund. Hier plagten uns beim Zelten die Mücken ganz
furchtbar. Von Stralsund über Bergen zur Stubbenkammer.
Der Affe, ein Tornister mit starkem Rahmen und Gurten war
uns sehr dienlich. Die Rückseite war ein brauner fellartiger
Belag. Um den Affen wurde eine Wolldecke und Zeltbahn gerollt
und festgezurrt. Das Kochgeschirr oben drauf. Marschieren
und Zelten war die Parole.
Der Gruppenführer sorgte für die Verpflegung und war ein
sehr guter Organisator. Die Rückfahrt kann ich leider nicht
mehr beschreiben. (Zum Teil mit der Eisenbahn) Auf der ganzen
GROSSFAHRT kein Regen.
Irgendwann bekam ich plötzlich DIPHTERIE. Es war eine
kleine Epidemie ausgebrochen, etwa 20 Kranke. Ich kam ins
Kreiskrankenhaus nach Bad Polzin, etwa 30 km entfernt. In
der Isolierstation wurden die bewussten Abstriche an den
Mandeln gemacht. Nach drei negativen Abstrichen war man
gesund!!!
Die Heilbehandlung war damals entsprechend kurz. Nach drei
Wochen kam ich zurück nach Warlang und nahm die Arbeit
und das Lagerleben wieder auf. Das Landjahr habe ich, bis auf
die Krankheit, gut überstanden.
Am 01.09.1939 brach der Krieg aus. Vor Weihnachten wurden
wir entlassen. Wir erhielten noch den LANDJAHRPASS.
Eintragung: Er erfüllte seine Pflichten.

Er war ein ordentlicher Arbeiter.

Wehrertüchtigung im Siebengebirge / RAD

Im Mai 1943 musste ich ins Wehrertüchtigungslager, welch langer
Name, aber von Bedeutung!
Das Zeltlager war auf der Höhe des Siebengebirges, oberhalb des
Rheines den wir zwar nicht sehen konnten. Das Gelände war für
Übungszwecke bestens geeignet. Wiese, Büsche und Wald waren
unsere Bekannte. Soldaten mit Fronterfahrung und Auszeichnung
unterwiesen uns im Erdkampf. Hinlegen und volle Deckung, mit
wenigen Angriffszielen für den Feind. Beim Hinlegen niemals die
Hacken hochkant lassen, sondern flach legen. Wie viele Soldaten
wurden schon durch Hackenschüsse verletzt? Und dann das
ROBBEN, auf dem Bauche liegend sich vorwärts bewegen!
Diese Übungen machten wir nur bei trockenem Wetter, was es ja
meistens war.
Kleinkalibergewehre kannten wir ja schon und jetzt wurden wir
mit dem Karabiner 98K vertraut gemacht. Er war eine Schuss-,
Stich- und Hiebwaffe und gehörte zur Standardausrüstung. Geschossen
haben wir zwar nicht, aber die Handhabung war ja später
von Nutzen. Spiel und Sport wurde auch getrieben. Gut, dass
trockenes Wetter war und die Zelte gut isoliert waren. Wir waren
ja immer hungrig und die Verpflegung konnte auch besser sein.
Viel Theorie gehört, aber vom tödlichen Krieg noch nicht mit-
bekommen. Nach etwa drei Wochen erreichte mich der Einberufungsbefehl
zum Reichsarbeitsdienst. RAD!

RAD / Einsatz am Mittelmeer

Noch im Juni wurde ich zum RAD eingezogen. Etwas Marschverpflegung
bekommen und mit einem Sonderzug ins Saargebiet
nach Beckingen/Saar transportiert. Vom Bahnhof aus noch 5 km
Fußmarsch bis zu den Unterkünften. Es waren Baracken, wie damals
so üblich.
Am nächsten Tag erst einmal Einweisung, Einkleidung und Ausrüstung
bekommen. Von nun an waren wir alle Arbeitsmänner der
RAD Abteilung I/326. Angetreten und der Oberfeldmeister hielt
eine Rede und ermahnte uns alle unsere Pflichten für Führer, Volk
und Vaterland zu erfüllen. Später, als Soldat, wurde noch der EID
geleistet. Übungen und Unterweisungen wie vorher.
Jetzt bekamen wir auch französische Beutegewehre. Es waren
lange Biester mit sieben Schuss im Röhrenmagazin. Die Handhabung
war natürlich anders als bei unserem Karabiner 98K. Wir
wussten nun wohin der Einsatz ging, die alten Gewehre waren ja
nur zur Verteidigung gedacht. Auf Befehl des Führers bekamen
die Arbeitsmänner die beste Verpflegung im ganzen REICH.
Henkersmahlzeiten? Nach 10 Tagen waren wir abmarschbereit!
Zum Bahnhof Beckingen ohne Zivilklamotten und mit voller Ausrüstung.
Ein Sonderzug mit gedeckten Güterwagen, Stroh auf den
Böden, stand bereit. Wir waren etwa 300 Mann, der Zug fuhr ab,
aber wohin? Es war ja Geheimhaltung befohlen. Die Städte und
Landschaften die wir durchfuhren waren für uns der Wegweiser!
Über Saarbrücken nach Südfrankreich hinein, ab Lyon durchs
Rhonetal, über Montpellier bis Sete am Mittelmeer. Es war
furchtbar heiß und wir waren solche Hitze nicht gewohnt. Vorsorglich
hatten wir nur grünes Drillichzeug an. In einem kleinen
Ort namens Marseillan war unsere Unterkunft. Ein Teil einer beschlagnahmten
Schule sollte für uns, etwa 70 Mann, für zwei Monate
unser Heim sein. Unser Arbeitsort war nahe dem Cap Agde,
eine seichte Stelle im Mittelmeer, wo angeblich die Alliierten landen
sollten. Der Strand wurde mit Panzersperren befestigt, Eisenteile
die vorher den Westwall schützten. Sie lagen neben der Küstenstrasse
und mussten dorthin getragen werden. Wir Arbeitsmänner
waren ja dazu da. Manche Teile wogen 300 kg und mehr. Mit
sechs oder acht Mann trugen wir diese hinunter bis zum Strand.
Vorher auf armdicke Knüppel gelegt oder gewälzt. Kommando:
Hebt an, zugleich! Pioniere der Wehrmacht schraubten dann diese
Teile zusammen, sie hatten natürlich kleine Kräne/Aufzüge dazu.
Wir mussten auch ein freies Schussfeld schaffen. Kleine Sträucher,
Büsche und Bäume mussten entfernt werden. Ein MG
brauchte diesen Freiraum!
Soweit unsere tägliche Arbeit. Im Nachhinein betrachtet war alles
für die Katz, denn die Amerikaner landeten ganz woanders, nur
nicht in Agde.
Jeder Arbeitsmann bekam auch ein Fahrrad, denn die Baustelle
war 10 km von unserer Unterkunft entfernt. Wecken morgens um
6 Uhr, dann schnell abfahren. Mittags kann die Sonne voll durch
und wir konnten nur bis 14 Uhr arbeiten. Unser Mittagessen verzehrten
wir dann mit Heißhunger. Vorher um 10 Uhr bekamen wir
noch ein zweites Frühstück: 1 Liter Haferflockensuppe (Befehl
von AH). Die Gulaschkanone, von einem Esel gezogen, kam dann
zur Baustelle. Wir hatten ja immer Hunger und freuten uns riesig
wenn sie kam. Wassertrinken war verboten, Wasser musste erst
durch die Filtermaschinen mit der Handkurbel. Malzkaffee gab es
reichlich. Einmal stritten wir uns mit unserem Koch, denn er hatte
auf dem Essensplan 90 Gramm Gulasch angegeben. Es waren leider
nur drei kleine Fleischstückchen die uns satt machen sollten.
Seine Erklärung war, dass von 90 Gramm Frischfleisch eben nur
durch den Kochverlust nicht mehr übrig blieb, man müsste auch
die Sauce hinzurechnen.
In Frankreich hatten wir jetzt eine Feldpostnummer in der Anschrift.
Neben dem Sold bekamen wir auch eine Zulage, weil wir
in Feindesland waren. Der Eingang unserer Unterkunft war immer
in der Nacht hell erleuchtet. Auch gingen zwei Mann in der Nähe
Streife. Gott sei Dank ist uns nichts passiert.
Einmal besuchte uns ein Arbeitsführer mit seinem Gefolge. Auf
dem Sportplatz traten wir an und hörten seine Ansprache, die von
Pflichterfüllung usw. sprach. Unter anderem fragte er uns: Habt
ihr auch Marketenderware bekommen? Antwort: Jawohl Herr Arbeitsführer!
In Wirklichkeit hatten wir sie kurz vor seinem Besuch bekommen
und zwar nur dieses Mal. Wer hatte sich den die Rauchwaren usw.
einverleibt? Wenn wir Ausgang hatten mussten wir zu der Uniform
die Hakenkreuzbinde tragen. Warum? Damit jeder Franzose
uns als Feinde und Nazis erkannte? Es ist in der ganzen Zeit nichts
vorgefallen, keine Überfälle durch die Widerstandskämpfer.
Nach acht Wochen war unsere Zeit um und wir machten uns auf
den Heimweg. Unsere Ablösung hatten wir zwar noch nicht gesehen,
aber Befehl ist Befehl!
Also alles einpacken und Abmarsch zum Bahnhof. Hier stand
schon der Güterzug bereit, der uns nach Deutschland fahren sollte.
Auf einem offenen Rungenwagen war ein ganz neues etwa 500
Liter Holzfass gelagert, es war natürlich voll mit WEIN. Wem
gehörte es? Bestimmt keinem Arbeitsmann. Von unserem Sold
konnten wir uns auch etwas kaufen und ich hatte 2 Liter Wein für
die Rückfahrt vorgesehen. Esswaren, weil die Marschverpflegung
sowieso nicht ausreichte. Bis auf einmal Durchfall hatte ich alles
unbeschadet gut überstanden. Der Güterzug mit der Dampflokomotive
fuhr uns also bis nach Beckingen/Saar. Im Lager Waffen
und Geräte abgegeben und die Zivilklamotten anziehen. Ab zum
Bahnhof und mit der Reichsbahn nach Essen Hbf zurück.
Ich hatte noch acht Tage Schonfrist, dann musste ich den Einberufungsbefehl
zur Luftwaffe befolgen.

Freitag, 24. August 2007

Luftwaffe / Rekrutenzeit in Belgien

Am 01.10.1943 wurde ich also eingezogen. Der Gestellungsort
war Augsburg. Ich benutzte nicht den vorgesehenen Zug sondern
fuhr früher von Essen Hbf ab. Eigentlich wollte ich mit nur kurz
die Stadt ansehen. Daraus wurde nichts, denn die Feldpolizei fing
alle Eingezogenen ab, sammelte sie zum Abmarsch in die Kaserne.
In Augsburg Pfersee war das Luftgaunachrichtenregiment
Nummer 7 untergebracht. (Welch langer Name) Es war wohl der
Einberufungstag für alle, nicht nur für Essener. In der Kaserne
angekommen wurden wir gleich in der Reihenfolge der Ankunft in
Kompanien eingeteilt und untergebracht. Der Komplex war ziemlich
groß und war etwa 30 km von den Messerschmitt-
Flugzeugwerken entfernt gelegen. Wenn es Fliegeralarm gab,
wurden diese auch angegriffen. Soweit die Standortbestimmung.
Die Unterkunft war gut und für mich besser als alle anderen vorher.
Wir waren verdammt müde und haben uns nicht groß wegen
der Bettenbelegung gestritten. Am nächsten Tag ging es Schlag
auf Schlag!
Zuerst die Einkleidung. Sie dauerte, weil ja alles halbwegs passen
musste. Wir konnten die Sachen ja auch austauschen. Die Stiefel
waren noch in Naturleder und mussten von uns geschwärzt werden.
Vorsicht - schmutzige Hände, aber Putzwolle war ja da. Uniformen und Wäsche, wohin mit dem ganzen Zeug? Einkleidung
durch die Kleiderkammer ohne große Hilfe und Beratung. Wir
hatten viel Arbeit damit!
Am folgenden Tag Empfang der Ausrüstung. Hierfür war die
Waffenkammer zuständig. W + G
Von Kopf (Stahlhelm) bis Fuß (Stiefel) bekam der Soldat Sachen
und Geräte die für ihn wichtig waren. Den Karabiner 98K bekam
jeder auch später und die Nummer wurde dann ins Soldbuch eingetragen.
Einkleidung und Empfang der Ausrüstung waren Tage voller Anstrengung
und Hektik. Eigentlich waren zwei Spinde nötig. Dann
die Zivilklamotten zu Mutter zurück schicken. Geregelter Dienstbetrieb
war nicht möglich. Und dann die Vereidigung auf unseren
Befehlshaber. Nach Unterweisungen und Übungen waren wir alle
zur Eidesleistung angetreten und die Musik spielte. Der Kommandant
sprach die Eidesformel durch das Mikrofon und wir
antworteten. Wir schwören es auch!

"Ich schwöre, dass ich dem Führer des Großdeutschen Reiches
und obersten Befehlshaber der deutschen Wehrmacht ADOLF
HITLER unbedingten Gehorsam leisten werde. Als tapferer Soldat
bin ich jederzeit bereit für diesen EID mein LEBEN einzusetzen.
So wahr mit Gott helfe!?"

Damit waren wir alle Soldaten geworden!

Ergänzung: Die Uniform war aus dem blau-grauen Einheitsstoff
der Luftwaffe. Die 1. Garnitur mit braunem Kragenspiegel und der
Vogelschwinge aus Metall. Die 2. Garnitur war die Arbeitsgarnitur.
Außerdem gab es noch das Drillichzeug für alle Zwecke. Weitere
Ausrüstung: Seitengewehr, Stahlhelm, Gasmaske mit ABC-
Plane, Koppel mit den Patronentaschen, Kochgeschirr mit Feldessbesteck,
der große Rucksack, Brotbeutel mit Feldflasche, Verbandspäckchen
usw.
Jeder bekam auch eine Erkennungsmarke aus Metall. In ihr war
der Name der Einheit mit einer Nummer eingeprägt. Bei mir zum
Beispiel: LgNRgt Nr. 7 9234.
Sie war mit einer Schnur um den Hals zu tragen und war zweiteilig
mit einer Bruchstelle in der Mitte. Bei einem Gefallenen wurde
der untere Teil abgebrochen und der obere Teil bleib hängen.
Beim RAD hatten wir den HEIL-Gruß, jetzt den militärischen
Gruß. Die ausgestreckte Handfläche wurde winkelförmig an den
Rand der Kopfbedeckung gelegt. Dies wurde auch geübt und noch
vieles mehr.
Nach 10 Tagen Hektik waren wir endlich marschbereit und konnten
mit der Ausbildung beginnen. Nicht in Deutschland sondern in
BELGIEN, wo wir dann eine Besatzungstruppe waren.
Ein Leutnant erläuterte uns die Marschverpflegung für 3 Tage:

1. Tag: 200 g Salami
2. Tag: 150 g Salami
3. Tag: 150 g Salami
Zusammen 500 g Salami
Dazu Kommissbrot und Margarine. Fortan hieß er der Leutnant
Salami!

Dann der Abmarsch zum Bahnhof und hinein in die Güterwagen.
Vom Küchenwagen bekamen wir zu Trinken. Wir waren immerhin
noch 200 Mann. Nachschub für das Ausbildungsregiment.
Über Köln und Aachen Grenze fuhren wir in die Nähe von
CHARLEROI wo auch das Regiment lag. Die Fahrt dauerte auch
tatsächlich drei Tage, weil ja die Güterzüge langsam fuhren.
Gute 100 Mann wurden in dem Örtchen Seuve-sur-Sambre untergebracht.
Auch hier war eine beschlagnahmte Schule unsere Unterkunft.
Sie hatte vier Geschosse und war ziemlich eng und sicher
nur für Kinder gedacht, auch zum Wohnen. Ich musste ganz nach
oben in eine kleine Stube unter dem Dach. Wer hatte eigentlich
die Platzbelegung vorgenommen?
Neun Mann in einer engen Stube mit Dachgebälk. Die sanitären
Verhältnisse waren grausam, der Waschraum mit den WC's (für
groß) war im Keller. Kleine WC's auf jeder Etage waren nicht
benutzbar, da nicht abfloss. Klamotten untergebracht und Betten
belegt. Gut, dass wir die großen Rucksäcke hatten. Wir mussten
immer rauf und runter, die Anderen waren besser dran. Die Verpflegung
lief an, mager und gesund. Dann kam ein Unteroffizier
und stellte sich als Albert Liebheit vor. Er hinterfragte bei unserer
Vorstellung einige Sachen. Kurzum als er alle befragt hatte, ernannte
er mich zum Stubenältesten.
Dies war mein Pech, denn es stellte sich heraus, dass zwei von uns
echte Wiener (Schlawiner) waren. Später hatte ich nur Ärger mit
den beiden (Reinhold und Kurt). Jedes zweite Wort von den beiden:
"Ich bin doch nicht deppert!" An das Gebäude und an das
Umfeld gewöhnte man sich nur langsam. Unten im Hof neben
dem Eingangstor, ein kleines Häuschen und darin war unsere Bewachung.
Allmählich begann unsere Ausbildung wie für die Infanterie vorgesehen
und Weiterbildung als Funker. Laut Dienstplan meistens:
8.00 Uhr bis 11.55 Uhr Geländedienst und von 14.00 Uhr bis
18.00 Uhr Funkerdienst und exerzieren. Gruppeneinteilung damit
keine Überschneidung möglich war, 50 zu 50 Mann. Der Geländedienst
war auf einer sehr großen Wiese, die früher Kuhweide
war. Hinlegen und robben wurde reichlich geübt mit der Braut des
Soldaten, dem Karabiner 98K! Seitengewehr pflanzt auf, liegend
gar nicht so einfach. Geschossen wurde mit Platzpatronen, wir
mussten uns ja den Belgiern bemerkbar machen. Die Hülsen
musste jeder selbst einsammeln. Es wurde alles geübt was auch im
Erdkampf möglich war.
Eines Tages musste ich von der Waffenkammer ein MG15 abholen
mit Übungsmunition. Ein Kamerad ging mit. Es war ein Dreibein
MG mit 75 Schuss in der Trommel für 8 mm Patronen. Das
MG15 war die Standardwaffe. Liebheit machte mich gleich zum
MG-Schützen 1. Er kommandierte immer: Einen kurzen Feuerstoß
auf den Waldesrand. Die anderen wollten ja auch schießen.
Schnell waren die 75 Schuss verballert! Und dann Laufwechsel
mit Asbesthandschuhen, denn die Waffe hatte Luftkühlung. Als
Schütze 1 war ich für die Reinigung verantwortlich. In den acht
Wochen Geländedienst in allen Varianten. Rückmarsch mit Gesang:
"Es ist so schön Soldat zu sein, Rosemarie, nicht jeder Tag
bringt Sonnenschein, Rosemarie! Übung macht den Meister, aber
was passiert im Kampf mit dem Feind?"
Nachtrag: Wir waren auch zweimal zum Scharfschiessen!
Nach dem Geländedienst war kaum Zeit zum Reinigen und Säubern
unserer Anzüge und Ausrüstung. Der Waschraum war überfüllt
und bald gab es das Mittagessen. In zwei ehemaligen Klassenräumen
waren Tische und Bänke aufgestellt. Wenn es laut Plan
SUPPE gab, holten wir immer mit Kochgeschirr die 1 1/2 Liter ab.
Die Essensausgabe war am "Küchenschalter".
Dann gute Mahlzeit! Richtig satt wurden wir nie. Von 14 bis 18
Uhr exerzieren auf einem freien Platz mit einem Rondell am Ortsrand.
An einer Seite eine kleine Mauer und dahinter floss die
SAMBRE. Die üblichen Kommandos wurden ausgeführt, es
musste alles zackig sein. Unheimlich viele Möglichkeiten gab es.
Neu war das GRÜSSEN lernen. Einzeln an Leutnant Salami vorbei
gehen und fünf Schritte vorher mit der richtigen Haltung beginnen.
Die rechte Hand gestreckt im Winkel an die Kopfbedeckung
legen. Wenn wir Ausgang bekommen sollten wir wenigstens
zackig grüssen können. Bei trockenem Wetter war alles gut.
Jeden zweiten Nachmittag war Funkausbildung. An den Morseschreibern
MS1 wurde telegrafiert. Das Morsealphabet zu beherrschen
war Voraussetzung. Was getastet wurde war ja auf dem Papierstreifen
sichtbar. Der Ausbilder tastete mit einem Gerät die
Morsezeichen laut hörbar. Klartext und Gruppentext mit je fünf
Zeichen schrieben wir auf. Dies war Telegrafie tönend und nannte
sich Funken. Das funkerische Gehör war hier gefragt. Geben und
hören war hier gefragt und war nur durch üben zu erreichen. Wer
nicht vorgebildet war, der war schlecht dran. Unsere beiden Wiener
habe ich im späteren Bordfunkerlehrgang nicht mehr gesehen.
Unteroffizier Liebheit war immer korrekt, sogar höflich. Einmal
beim Geländedienst sprach er mich an: "Rekrut, gestatten
Sie, dass ich anfasse?" Ich: "Warum?" "Ihr Stahlhelm sitzt ganz
schief!" Liebheit war gelernter Krankenpfleger.
Der andere Unteroffizier hieß Bouffier, wir nannten ihn Puffjeh,
natürlich nur heimlich. Er hatte bestimmt Abitur, denn er sprach
gut französisch. Er hatte eine Freundin und wir marschierten mit
Gesang an ihrem Haus vorbei. Ob sie später die Rache der Resistance
überlebte?
In einer Nacht gingen wir auf Streife. Bouffier mit umgehängter
MP vorweg und wir (neun Mann) hinterher. Nach einiger Zeit
klopfte er an eine Haustür und wir konnten alle hinein. Es war
eine Bar und er begrüßte die Madam wie eine alte Bekannte. Jeder
bekam einen Schnaps zum Aufwärmen.
Nach vierjähriger Besatzungszeit waren die Deutschen nicht nur
verhasst!
Wir bekamen unseren Sold mit Zulage in belgischen Franken ausgezahlt.
Beim Ausgang ab in den Ort, wir konnten ja jetzt anständig
grüßen. Im Soldatenheim gab es fast immer nur das Stammessen.
Im Café de Sports gab es kleine runde Törtchen mit Obst oder
Creme. Hier mussten wir sogar dafür "Brotmarken" abgeben.
Dann gab es das berüchtigte "Café Hemd hoch" in Maubeuge. Es
lag in Frankreich und war 10 km entfernt. Mancher wagte den 20km-
Marsch.
Auf dem Dachfirst unserer Unterkunft war ein Luftraum-
Beobachtungsstand eingerichtet. Größe etwa 2 x 2 m und etwa mit
1,20 m hohen Bordwänden. Er wurde nur nachts mit zwei Mann
besetzt und hatte Telefonverbindung zur Torwache. Fernglas und
Kompass als Ausrüstung waren vorhanden. Etwaige feindliche
Luftlandungen und Flugzeuge sollten beobachtet werden.
Während der 10 Wochen Ausbildung hatte ich auch dort meinen
anteiligen Dienst versehen. Im Allgemeinen verlief die Zeit ziemlich
ruhig. Ausgang nur mit Seitengewehr und nicht allein.
Warum sollten die Alliierten ein verbündetes Land bombardieren?
Die Resistance wusste genau, wenn es tote deutsche Soldaten gab,
rückte die SS an und räumte auf.
Unsere Ausbildung war also dreiteilig: Geländedienst, Exerzieren
und Funkerausbildung.
Gleich Anfang Januar 1944 begann für mich und andere die eigentliche
Bordfunkerausbildung, und zwar an der Ostsee.

Einleitung/Prolog

Samuel MORSE (1791-1872), amerikanischer Erfinder, konstruierte einen elektromagnetischen Telegraphen. Er war derSchöpfer der Morseschrift. Nachrichtenübermittlung in Punkten und Strichen über Leitungen zu den einzelnen Apparaten und Stationen. Die Zeichen wurden auf einem schmalen Papierstreifen sichtbar. Ein Rädchen in Tusche getaucht machte es möglich. Te-legraphieren über Leitungen wie damals üblich. Die REICHSBAHN machte sich diese Erfindung zum Nutzen. Im Zugmeldeverfahren und bei der Nachrichtenübermittlung.Seit dem 01.03.1940 war ich also bei der Reichsbahn tätig. Während der Ausbildung lernte ich das telegraphieren. Ich übte fleißig. Im Hauptpostamt Essen war ein Trainingsraum mit mehreren Geräten benutzbar. Hier übten viele spätere Bewerber der Luftwaffe, denn wer telegraphieren konnte, der beherrschte auch die Telegraphie (tönend Funken).Statt Apparaten wurden Funkgeräte benutzt die drahtlos funktionierten. Nach 1942 meldete ich mich freiwillig als BORDFUNKER zur Luftwaffe und wurde auch angenommen! (Statt zur Infanterie).

Bordfunkerausbildung auf Wollin










Von Belgien also zur Ostsee nach Dievenow auf Wollin. Vermutlich
über Berlin und Stettin mit dem Zug, denn an einen Transport
mit einem Güterzug kann ich mich nicht erinnern. Die Oder fließt
durch das Stettiner Haff und darin liegen die beiden Inseln Usedom
und Wollin. Die ist mit den Flüssen Peene, Swine und Dievenow
mit der Ostsee verbunden. Die Dievenow liegt östlich und
ist nur ca. 30 Meter breit. Eine Holzbrücke war die Verbindung
zum Festland im Osten. Hier also und am Caminer Bodden war
unser Standort: See- und Landfliegerhorst DIEVENOW!

Luftnachrichtenschule 5 für die Ausbildung zuständig. Unterbringung
in Baracken der 2. BAK (Bordfunkerausbildungskompanie).
Wir Neuschüler aus Belgien waren mit den anderen, die schon
dort waren etwa 150 Mann. Es war Anfang Januar 1944.
Ausbildung stufenweise, jede Stufe dauerte 2 Monate. Vorstufe,
Anfangsstufe, Mittelstufe, Endstufe und Fertigstufe.
Zunächst wie bisher funken: Geben und Hören. Das Standardgerät
war das Funkgerät Nr. 10 (FUG 10). Im Funkbetrieb wurden
Funkverkehrsabkürzungen verwendet, so genannte Qv-Gruppen
etwa 300! Neben Morseschreibern wurde jetzt auch FUG 10 be
nutzt, weil es ja auch in den Flugzeugen war. Die Inbetriebnahme
des Gerätes war schon nicht einfach und die Herstellung von
Funkverbindungen auch nicht. Tasten, Hebel und Schalter waren
farbig markiert. Es gab sogar eine Exerzierordnung für Bordfunker
speziell für dieses Gerät, denn es musste ja schnell gehen während
des Fluges. Einstellung der Wellenlänge und der Frequenz
mussten geübt werden und andere Möglichkeiten. Das Gerät war
Sender und Empfänger zugleich. Der starke Pfeifton des Senders
musste in die Schwebelücke des Empfängers eingepfiffen werden.
Der Geber konnte zwar nichts hören was er tastete, wohl aber der
Empfänger. Es gab ein Verzeichnis der Rufzeichen von Flugplätzen
und Funkfeuern die ihr Zeichen ständig ausstrahlten.
Die Koppelnavigation ist die Grundlage für die Erreichung des
Flugzieles. Hilfsmittel: Flugkarten und Kompass, Uhr, Winkelmesser,
Lineal und spezieller patentierter Dreieckrechner. Windrichtung
und Windstärke waren unerlässlich. Bei einem Flug von
A nach B wurden auf der Flugkarte beide Punkte mit Bleistift und
Lineal verbunden. Mit dem runden Winkelmesser, 360 Grad, wurde
die Gradzahl abgelesen und somit die Hauptflugrichtung ermittelt.
Es war der rechtweisende Kurs: RwK.
Flug von West nach Ost etwa 90 Grad. Die magnetische Abweichung
war in den Karten mit 2° minus verzeichnet = Missweisen-
der Kurs. Nun mussten noch Windstärke und Windrichtung be
rücksichtigt und der Luvwinkel berechnet werden. Hierzu wurde
der Dreieckrechner benutzt. Bei einem Nordostwind driftete das
Flugzeug nach Süden ab. Der Luvwinkel war also minus und
musste von den 88° abgezogen werden. Rechtweisender Windkurs
= RwWk.
Der Bordfunker musste also den Kurs berechnen. An Bord befanden
sich ein Mutterkompass, ein Tochterkompass für den Bordfunker
und einer für den Flugzeugführer. Dieser flog nach dem
eingedrehten Kurs des Funkers. Natürlich musste manchmal der
Kurs berichtigt werden, wenn Turbulenzen waren.
Mit dem Peilgerät Nr. 1 war eine weitere Navigation möglich =
Funknavigation. Unterscheidung zwischen Eigenpeilung und
Fremdpeilung. Bei der Eigenpeilung wurden zwei Sender angepeilt,
bei den Peilungen schnell in die Karte eingetragen und ausgewertet.
Wo sich beide Funkstandlinien kreuzten war der Standort
des Flugzeuges, das aber schon längst weiter geflogen war.
Gebräuchlich war die Anpeilung des Funkfeuers auf Rönne und
Rixhöft bei Danzig.
Bei Fremdpeilungen wurde Peilzeichen A getastet: .Peilungen
wurden meistens nur im Lehrsaal gemacht. In einem
Lehrsaal waren etwa 10 Kabinen aufgebaut, die Arbeitsplätze des
Bordfunkers wie sie im Flugzeugrumpf waren. Wir sollten uns an
die Enge gewöhnen. In den ersten Monaten also Funkdienst und
Navigation üben, von 8 - 12 Uhr und von 14 - 18 Uhr. Schon in
der Vorstufe wurde Tempo 60 verlangt, das heißt 60 Funkzeichen/
Morsezeichen in der Minute abgeben und aufnehmen. Wer
nicht mit kam musste abends weiter üben. Später wurden auch
einige von uns abgelöst und woanders eingesetzt. Unser Hauptmann
war ein behäbiger Schwabe. Er wohnte im Offiziersheim
und fuhr immer mit dem Fahrrad an. Im politischen Unterricht
würden wir alles aus der Mausperspektive betrachten? Aber sonst
gab er jedem am Geburtstag dienstfrei, nach Rapport bei ihm. Er
wollte uns kennenlernen. Der Kompanieoffizier, Leutnant Lange,
war auch verträglich und trug schon hohe Auszeichnungen (Frontflugspange).
Ein Oberfeldwebel, der Navigation vermittelte, trug
sie auch. Mein Unteroffizier hieß Herbert Kind und trug das Bordfunkabzeichen,
was wir auch anstrebten. Er wurde auch später
noch Feldwebel.
Es war auch ein Fliegerschützen-Lehrgang vorgesehen. Aber zuerst
mit Karabiner 98 K, wie waren auf der Waffenkammer gelagert,
auf dem Schiessstand zur Gewöhnung. Schiessen mit Bordwaffen-
MG's war etwas ganz anderes. Waffenkunde und die
Handhabung/Benutzung üben.

MG 81 = 8 mm Kaliber mit Gurtzuführung
MG 81 Z = Zwillingswaffe, beide mit Fliegervisier

MG 131 = 13 mm Kaliber mit Reflexvisier/Fadenkreuz beleuchtet
MG 151 = 15 mm Kaliber und wie vor / Kassette

Das Schwierigste war vom Flugzeug auf ein anderes Flugzeug zu
schießen. Bei Anflügen und Abflügen vorhalten nach dem Ermessen
des Schützen. Bei uns wurde viel zuwenig Leuchtspurmunition
verwendet. Visierlinie: Auge des Schützen, Fadenkreuz, Ziel!
Aber die Flugzeuge flogen ja sehr schnell, Freund und Feind. Im
Lehrfilm den Gegner zu treffen war kein Problem. Mit einer
"Leuchtpunktwaffe" aus 25 m Entfernung. Wir haben nut vom
erdfesten Stand auf den Luftsack geschossen. Die Bordwaffen
hatten eine "Feuersperre", man konnte den Abzug drücken, es fiel
kein Schuss, weil sonst das eigene Flugzeug getroffen wurde.
Wie diese Sperre funktionierte ist mir ein Rätsel, denn so viele
freie Sektoren gab es ja nicht.
Dann der Flugzeugerkennungsdienst für eigene und feindliche
Flugzeuge. Der Bordfunker war ja nur Notschütze bei der Abwehr
von Angriffen.
Hauptsächlich waren wir mit der Funkausbildung und der Navigation
beschäftigt. Die Übungsflüge kamen erst viel später dran.
Jetzt bekamen wir auch den lang ersehnten Ausgang. Natürlich
nach Dienstschluss und meistens am Samstag und Sonntag. Die 1.
Garnitur erfüllte jetzt ihren Zweck und zierte uns junge Soldaten.

Stiefel wollte keiner tragen - nur die Schnürschuhe und die lange
Hose. Sie wurde Naht auf Naht gelegt und vorne, wo der KNIFF
hin sollte mit Malzkaffee angefeuchtet. Danach zwischen eine
Wolldecke gelegt und eine Nacht darauf geschlafen. Wie eitel wir
doch waren!
Jedenfalls sah eine Hose mit KNIFF besser aus als ohne. Den Uniformrock
an, das Käppi auf und das Koppel umgeschnallt und
fertig zum Ausgang. Wir sollten ja im Ostseebad einen ordentlichen
Eindruck machen!
Es gab einen öffentlichen Strand und einen Wehrmachtsstrand,
den wir benutzen sollten. Ich ging immer in den Caminer Bodden
baden, er war nur 200 Meter entfernt und auch sandig. Am Sonntag
brachte das weiße Bäderschiff, um 10 Uhr und um 12 Uhr, die
Tagesgäste aus Camin an. Natürlich kamen auch zig Mädchen mit,
denn sollten sie dort versauern?
Im Ort war die Attraktion das Strandcasino mit etwa 100 Plätzen!
Für uns gab es Fliegerbier und das Stammessen. Vier Musiker, die
zum Stamm der Schule gehörten, spielten zur Unterhaltung auf.
Jede Stunde, weil die Gäste oft wechselten, den Schlager BEL
AMI und das HAWAII-Lied. In Überlieferung für uns und nicht
öffentlich lautete der Text: Eine Insel aus Träumen geboren ist
Wollin, ist Wollin, dort hab ich meine Nerven verloren, auf Wol
lin, auf Wollin. Übers Meer himmelblau fliegt der alte Klapperkasten
der BV!
Der Sommer 1944 an der Ostsee war einfach wunderbar. An einem
Sonntag machte ich die Bekanntschaft von zwei Krankenschwestern
mit einer jungen Helferin. Es stellte sich heraus, dass
sie in dem Lazarett in Camin tätig waren. In Wald Dievenow haben
wir dann den ersten Nachmittag verbracht. Die folgenden
Sonntage kamen sie auch. Wir campierten im Wald vor der Düne.
Essen und Trinken hatten sie genug mit. Wir haben uns gut und
freundschaftlich unterhalten. Mit der jungen Helferin, sie hieß
Herta Kröger, ging ich dann einmal spazieren. Das Herumlungern
auf Decken waren wir leid. Später haben wir uns aber auch in den
Sand gesetzt. Plötzlich kam jemand in grüner Uniform angestürmt
und schrie mich an: "Verlassen Sie sofort mein Grundstück oder
ich melde Sie!" Ob er die RUSSEN im Frühjahr 1945 auch so angeschrieen
hat? Der Kerl war gut versorgter Wehrmachtsbeamter,
darum war Vorsicht geboten. Aber die Zeit für uns ging weiter.
Einmal hatte sich eine ME 107 nach Dievenow verirrt und wohl
auch zum Nachtanken. Der Flugplatz war ziemlich klein und beim
Abflug kam die Maschine nicht genug hoch. Sie flog direkt in den
Dachstuhl eines Steinbaus der Kaserne, ein Toter war zu beklagen.
Beim Absturz einer BV 138 gab es vier Tote. Der Flugzeugführer
hatte eine Steilkurve zu eng geflogen, die Tragfläche war also
wirkungslos.
Am 19.06.1944 wurde ich 19 Jahre alt und genoss den dienstfreien
Tag. Vorher war ich bei unserem Hauptmann in der Kompanie-
Schreibstube. Er gratulierte. An dem Tag hatte ich auch Glück,
denn die Kompanie machte eine Alarmübung und rannte an mir
vorbei nach OstDievenow.
Am 01.07.1944 bekam ich die zweite Schwinge auf den Kragenspiegel
und einen Winkel an den linken Ärmel genäht. Der Dienst
ging wie bisher weiter.
Am 19.07.1944 geschah das missglückte Attentat auf AH. Wir
erfuhren wenig darüber. Wenig später beeilten sich alle Kommandeure
und Einheitsführer den Treueeid zu leisten. Wir traten also
alle an, in 1. Garnitur und Stahlhelm auf den Köpfen. Die zweite
Eidesformel gesprochen und der Eid geleistet wie bisher auf den
überlebenden AH. Ab sofort wurde der HEIL-GRUSS eingeführt.
Er hielt sich bis zum 08.05.1945, danach galt wieder der militärische
Gruß (Soldatengruß).
Zu Pfingsten kam es fast zu einer Feindberührung. Die Flugzeugüberwachung
hatte drei feindliche einmotorige Flugzeuge
entdeckt. Wir wurden rechtzeitig gewarnt und konnten unsere drei
abwehrbereiten MG-Stände besetzen. An der Ostseite des Boddens,
wo die Flugzeugboote lagen, flogen sie vorbei. Es ging alles
rasend schnell und wir konnten nur einige Feuerstöße abgeben.
Bei Leuchtspurgeschossen hätten wir wenigstens sehen können,
ob wir getroffen hätten. Die Kleinflugzeuge, die ziemlich außerhalb
standen, erhielten vom Feind einige Treffer. Der Spuk war
schnell vorbei. Sicher gab es manchmal Fliegeralarm, aber wir
konnten unser Schulflugprogramm ungehindert durchführen.
Im Sommer 1944 war die Front noch weit weg. Die Ausbildung
ging weiter und es war noch viel zu lernen. Für zwei Wochen war
wieder exerzieren und kommandieren angesetzt. Alle Möglichkeiten
wurden geübt und mussten beherrschbar sein. Wir sollten ja
nicht nur Bordfunker werden und auch später mal Unteroffizier.
Der allgemeine militärische Dienst war wieder gefragt. Danach
standen die Übungsflüge an. Unser Fluggebiet war also die Ostsee
mit ihren langen und schönen Küsten.
Das von unseren Vorgängern genannte Idiotendreieck stimmte
voll und ganz. Von Dievenow nach Rönne auf Bornholm (Nord),

dann nach Rixhöft (Ost) und zurück nach Dievenow (West).

Länge etwa 600 km; Flugzeit 3 Stunden; Flug in beide Richtungen
im Wechsel

Die Übungsmaschinen waren:

1. BV 138 = fliegender Pantoffel genannt, wegen der Form des
Bootskörpers, Hersteller Blohm & Voß
3 Motoren

2. Do 17 = fliegender Wal genannt, wegen der Form des Bootskörpers,
Hersteller Donier
1 Reihenmotor

Die Übungsflüge begannen schon von der Mittelstufe an, weil alle
anderen Schüler auch fliegen wollten. Nur Schönwetterflüge, Beginn
morgens, ohne Waffen. Zuerst die Flugbesprechung in dem
kleinen Hangar und der Meteorologe (Wetterfrosch) erläuterte das
Wetter. Wichtig für uns waren Windrichtung und Windstärke.
Dann wurde der Kurs berechnet und auf einem Kurszettel notiert.
Änderte sich der Wind während des Fluges war eine Neuberechnung
nötig. Meistens war der Seewind aus Nordost. Die erste
Flugbesprechung war sehr ausgiebig und wir erinnerten uns immer
an die Fakten. Fliegerkombinationen, Kopfhaube mit Hörer
und Kabelanschluss zum Gerät waren angetan. Am Schluss noch
die wulstige Schwimmweste aus Kapokfasern angelegt und fertig
ab. Der Flugzeugführer hatte uns erläutert, dass er mit einem
"Schaukelstart" beginnen würde. Die erzeugten Wellen mussten
sein, sonst bekäme er die Maschine nicht hoch. Die Flugstrecke ist
ja schon beschrieben worden und der Kurs war mit dem Kompass
eingedreht. War der Flugzeugführer mit ihm nicht einverstanden,
dann wackelte die Kompassnadel beim Bordfunker wie verrückt
hin und her. Wie oft hatte der Flugzeugführer das "Idiotendreieck"
abgeflogen? Funksprüche mit diversen Flugplätzen wurden geführt.
Das Anpeilen der Funkfeuer Rönne und Rixhöft war relativ
einfach, Standortbestimmung durch Eigenpeilung. Bei einer
Fremdpeilung mussten uns zwei Sender (Flugplätze) anpeilen,
nachdem wir vorher Peilzeichen gegeben hatten. Peilzeichen war
die A, Anforderung qta = --.-/-/.Auswertung
der beiden Funkstandlinien und Eintrag in die Karte
mit Bleistift. Funkverkehr und Peilungen mussten sehr schnell
gehen. Der Arbeitsplatz des Bordfunkers war sehr klein und eng.
FUG 10 und PEILG 1 und der Tisch mit Sitz nahmen viel Platz
weg. Das Navigationsbesteck, in einem flachen Blechkasten untergebracht
von 30 x 30 cm, musste ja auch benutzt werden. Die
Flugstrecke hat jeder etwa sieben Mal durchflogen. In
Friedenszeiten dauerte die Ausbildung eines Bordfunkers sehr viel
länger. Gleichwohl hofften wir, dass es bei künftigen Einsätzen
auch klappen würde. Wasser hat zwar keine Balken, aber bei der
Landung eines Flugbootes doch. Es ist auch bis auf den Absturz
einer BV 138 mit vier Toten nichts passiert.
Danach der übliche Dienst im Lehrsaal und auch draußen, jetzt
waren wir schon in der Endstufe. Eines Tages mussten wir noch
zum Flugplatz Greifenhagen/Pommern. Das Übungsflugzeug war
die zweimotorige Junkers JU 86 K (Plastikbomber). Über Land
wurden einige Runden mit Funkverkehr gedreht und das qga-
Landeverfahren geübt. Der Sender vom Flugplatz strahlte mit
starkem Dauerton die gerade Anfluglinie aus. Links hiervon ertönten
Punkte und rechts davon Striche. Der Flugzeugführer konnte
also den Kurs entsprechend ändern. Er war ja mit einer Bordleitung
tung mit dem FUG 10 verbunden und konnte mithören. Der Bordfunker
stellte vorher die Funkverbindung her und drehte seinen
Kompass auf den Dauerton ein. Von Greifenhagen zurück nach
Dievenow wo es für uns ja keine Landflugzeuge gab. Es stand
noch die Fertigstufe an, mit der Ausbildung im Blindflug-
Landeverfahren. Wegen Benzinmangel für Ausbildungsflüge fiel
diese aber aus.
Die herrliche Küstenlandschaft aus der Luft zu sehen war einfach
wunderbar. Einmal flog ich sogar mit bis nach Pillau an der Frischen
Nehrung. Das war jetzt vorbei.
Unserem Kompaniechef war befohlen worden noch 44 Mann zu
einem seemännischen Lehrgang zu schicken. Er versicherte uns,
ich war dabei, dass wir danach noch im SEENOTDIENST eingesetzt
würden.
Also ade Wollin und ab nach Rügen. Hier gab es eine Seefahrtschule
der Luftwaffe mit einem kleinen Hafen. Der Ort hieß
GAGER und lag am rügischen Bodden. Wir haben also die sechs
Wochen Ausbildung absolviert, denn sie waren ja für die Rettung
aus Seenot nötig. Der Ausgangszielort GÖHREN wurde nach der
Wende zu einem Urlaubsort für mich und meine Frau.
Von 1995 bis 2006 waren wir jedes Jahr da. Der kleine Hafen in
Gager wird jetzt zu einem großen Yachthafen ausgebaut.

Nur dienstlich ging es nicht weiter, die ROTE ARMEE war auch
an der Ostsee im Vormarsch. Der spätere Einsatz für uns dort im
Seenotdienst hatte sich zerschlagen. Als überzählige Bordfunker
wurden wir zur Sammelstelle in Halle/Saale in Marsch gesetzt.
Hier war die Nachrichtenschule der Luftwaffe Nr. 1 mit Flugplatz.
Es war eine sehr große Kaserne. Jeden Morgen versammelten sich
alle überzähligen Bordfunker zur "RONDE" in dem größten
Raum den es gab. Es waren etwa 200 bis 300, die meisten mit hohen
Auszeichnungen dekoriert. Der Zweck war ja alle irgendwo
einzusetzen. Der Leiter/Vortragende bot folgende Möglichkeiten
an:
Kampfschwimmer, Rammjäger, Panzer Königstiger, Fallschirmjäger,
Waffen-SS. Also Freiwillige vor!
(Bevor man in einer Kampftruppe verschwand.) Unser Oberfeldwebel,
er hatte die Führung über unser Häuflein übernommen,
wollte nichts überstürzen und zu keiner Einzelmeldung raten. Eines
Tages suchte die Flakgruppe West 40 Funker, dies war unsere
Chance! Der Oberfeldwebel nahm uns alle mit nach vorne und
meldete uns als Freiwillige an. Er verhandelte erfolgreich und bekam
tatsächlich den Sammel-Marschbefehl zur Flakgruppe West.
Also fertig machen zum Abmarsch mit Waffen und Ausrüstung,
die wir ja seit Abzug von Dievenow immer bei uns hatten. Für den
98 K bekam jeder Notmunition in die Patronentaschen, für alle
unvorhergesehenen Fälle. Also unser Häuflein zum Bahnhof und
Züge benutzen soweit wie es geht. Die Fahrt dauerte zwei Tage
und endete in Grevenbroich. Hier begann der Sammelraum für die
Ardennenoffensive, die am 16.12.1944 begann. Ich wurde mit vier
anderen Funkern der 19. Flakbrigade zugeteilt.
Die schöne Ostsee mit der langen Küste und frischer Luft ist für
uns nun vorbei. Hier wird die bald blei- und eisenhaltig sein!




Erinnerungen











Die letzte große Schlacht im WESTEN, die Ardennen-Offensive,
begann am 16.12.1944.
Damals hätte ich niemals geglaubt, dass sechs Jahre später am
16.12.1950 mein Hochzeitstag mit Hannelore Schomburg werden
sollte. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich nach 60 Jahren noch
leben würde, wie derweil besungene "Alte Holzmichel". Uns ging
es nur noch ums Überleben!
Aber der Reihe nach:
Die 19. Flakbrigade gehörte zur Flakgruppe West. Es waren papiermäßig:
3 Regimenter mit 8,8 cm Geschützen, 1 leichte Flakabteilung
und 1 Instandsetzungsabteilung. 200 Geschütze mit 2000
Mann. Es fehlten aber ausreichend Munition, BENZIN und Verpflegung.
Ich gehörte damals zur Inst-Abteilung, Brigadebefehlsstern B 4.
Wir lagen im Bereich der Hunsrückstraße (Februar). Der Kommandeur,
ein Oberstleutnant mit Ritterkreuz und mehr um den
Hals, hatte wohl den Rückzug befohlen, der aber schon in vollem
Gange war. Er hatte aber auch TAGESFAHRTEN verboten. Fahrten
nur bei Dunkelheit wegen der feindlichen Flugzeuge!
Mein Einheitsführer, ein Oberleutnant, etwa drei Jahre älter als
ich, befolgte das TAGESfahrverbot nicht. Er schickte zwei LKW
zum Vorratslager nach Wengerohr um BENZIN zu holen. Er
dachte wohl, die kostbaren Werkstattwagen, Waffen und Geräte
soll der Feind nicht haben. Das BENZIN wurde in Wengerohr
gefasst, aber auf der Rückfahrt schossen JABOS beide LKW mit
unserem Rückzugsbenzin in Brand. Es war ja heller Tag und alles
gut zu sehen. Jetzt war der "Rückzug" nur noch mit kleineren
Fahrzeugen möglich. Wenn später einmal der Vorfall untersucht
werden würde, war mein Herr Oberleutnant
böse in der KLEMME. "So kann ich meinem Kommandeur
nicht vor die Augen treten", sagte er.
Er wollte sich erschießen. Jetzt war er ziemlich kleinlaut und den
Tränen nahe. Ich habe ihm vom Selbstmord abgeraten. In dem
CHAOS war ich noch der einzige Funker am Gerät. Ich riet ihm,
einen Funkspruch abzusetzen mit entschuldbaren Erklärungen. Er
hat also den Entschuldigungstext verfasst und ich habe ihn verschlüsselt
und als Funkspruch abgesetzt. Eine Quittung über den
Erhalt habe ich aber nicht bekommen, obwohl ich ihn drei Mal
abgesetzt hatte. Jetzt war mein Chef wieder obenauf. "Das
werde ich Ihnen nicht vergessen!" Er wollte mich zum Kriegsverdienstkreuz
vorschlagen. Einfach lächerlich.
Später beim Rückzug hatten Frauen weiße Betttücher in die Fenster
gehängt. Die Häuser befanden sich hinter den lächerlichen
"Panzersperren".
Nun war der Herr Oberleutnant wieder der Held. Er zog seine Pistole
und schrie: "Sofort die weißen Tücher weg, soweit sind wir
noch nicht oder ich schieße." Die Frauen nahmen die Tücher weg
und haben sie wieder aufgehängt als wir aus dem Dorf waren.
Den Herrn Oberleutnant habe ich nicht wieder gesehen.
Die Funksprüche hatte ich auf dem Dachboden eines Bauernhauses
abgesetzt. Die Antenne war durch die Luke nach draußen gelegt.
Nun wurde es auch Zeit für meinen Rückzug, zumal sich die
feindliche Artillerie bemerkbar machte. Im Hof bat mich die Bäuerin
um Hilfe. Soldaten, die sie vorher beherbergt hatte, haben im
Hof einen einspännigen Pferdewagen stehen gelassen. Der Wagen
voll mit MGs, Munition, Panzerfäusten, Geräten usw.. Wenn der
Wagen bei Beschuss getroffen würde, wäre alles samt Bauernhof
in die Luft geflogen! Der Wagen musste also weg!
Die Bäuerin nahm die Deichsel und ich habe recht kräftig von
hinten geschoben. Nur weg vom Hof und auf die Straße. Etwa 70
m auf der Straße und dann den Wagen samt Ladung in den Straßengraben.
Die Bäuerin dankte und gab mir noch ein Zubrot mit.
Für mich wurde es höchste Zeit!
Später traf ich noch einen Kameraden von unserem Funktrupp.
Wir waren nun Versprengte in dem allgemeinen CHAOS.
Am 27.04.1945 gerieten wir in amerikanische Gefangenschaft.
Sollte ich kleiner und einfacher Soldat einem Oberleutnant das
Leben und einer Bäuerin den Hof gerettet haben? Ich war 19 Jahre
und 8 Monate alt!
Der Rückzug war schon zum Chaos ausgeartet. Sollten die paar
Feldjäger (Kettenhunde) den Zusammenbruch der Front aufhalten
können? Die Übermacht der Amerikaner war viel zu groß. Unser
kleiner Haufen von etwa 30 Mann hatte die Marschrichtung
Rhein/Taunus, wie alle anderen auch. Ein LKW und drei kleinere
Fahrzeuge hatten wir noch, aber kaum BENZIN.
Unser Anführer (Oberfeldwebel) beschloss also bei einer Ortsfeuerwehr
sich welches zu besorgen. Der Schuppen wurde einfach
aufgebrochen und etwa 8 bis 10 Kanister beschlagnahmt! Der
plötzlich aufgetauchte Ortsgruppenleiter in seiner BRAUNEN
Uniform wollte uns deswegen anzeigen und vor ein Kriegsgericht
bringen!
Wie bei Tagesfahrten üblich musste auch der Luftraum beobachtet
werden. Die feindlichen JABOS hatten gute Sicht und leichtes
Ziel.
Bei Fliegeralarm von den Fahrzeugen herunter und schnell in Deckung
gehen. Beim Sammeln war unser Koch nicht mehr da. Er
war in Kirn zu Hause. Den Ort hatten wir vorher durchfahren. Wir
wurden immer weniger. Irgendwie schafften unsere Fahrer bei
Nacht und Nebel den Rheinübergang.
Zum Schluss war nur noch der LKW fahrbereit. Ich gehörte noch
mit zur Begleitung. Plötzlich an einer Kreuzung Stopp. Es war
finstere Nacht und in etwa 500 m ein dunkler Haufen.
Ich wurde zur Erkundung vorgeschickt. Nahe herangekommen
rief ich: "Seid Ihr Deutsche?" Die Antwort kam prompt, rote
Leuchtspurgeschosse. Schnell in den Straßengraben und zurück
zum LKW. Die Amerikaner hatten uns überrollt. Wir beschlossen
nun uns einzeln durchzuschlagen. Her mit den Rucksäcken und
los. Der LKW wurde sofort in Brand geschossen. Nun waren wir
echte Versprengte.

Mein Kamerad und ich machten uns also allein auf den Weg. Die
Vorkommnisse im Einzelnen zu schildern wäre doch zuviel.
Richtung Vogelsberg seitlich von Fulda. Einen Ruhetag legten wir
ein. Eine junge Frau verpflegte uns mit Bratkartoffeln und Spiegeleiern.
Ausgehungert und übermüdet war es uns sehr recht. Wir
konnten sogar eine Nacht in blau-karierten Betten schlafen. Sie
hatte wohl Mitleid mit uns.
Dann ging es weiter bis Altenschlirf. Die amerikanischen Panzer
rollten in 50 m Abstand an uns vorbei. Wir lagen hinter zwei riesigen
Findlingen in einem Feldweg. Wir hatten beide Angst vor
Entdeckung. Nur einige Salven aus den MGs und wir wären tot
gewesen.
Es war Abenddämmerung und wir wurden nicht entdeckt. Ich bekam
aus Angst einen Schwächeanfall mit Schüttelfrost. Meinem
Kameraden wird wohl ähnlich ergangen sein. Wir waren gerettet.
Wir gingen also den Feldweg weiter und trafen auf ein verlassenes
RAD-Maidenlager. Drei Baracken in Hufeisenform, in der Mitte
der Fahnenmast. Es war fast dunkel. Wir suchten nach Essbarem
vergeblich. In den Spinden nur Toiletten- und Hygieneartikel. Wir
hatten die Küche nicht erwischt. In den Feldbetten legten wir uns
nieder und schliefen auch sofort ein.
Der folgende Tag und die weitere Nacht verliefen ohne Zwischenfälle.
Am zweiten Tag sahen wir durch das Fenster vor der gegenüberliegenden
Baracke eine junge Frau. Durch Gebärden zeigten
wir ihr an, dass wir Hunger hatten. Wir wussten ja nicht wer in
den beiden anderen Baracken war, sonst hätten wie die durchsucht.
Nach etwa zwei Stunden bekamen wir Besuch. In den Hof fuhr
ein JEEP der US-Armee. Es stieg ein Offizier mit einem STERN
am Helm aus. Er schickte sich an, die Baracken zu durchsuchen.
Von unserem Fenster aus konnten wir alles genau und unerkannt
beobachten. In einer Hand trug er einen kleinen dreieckigen
Handbesen, den er wohl lieb gewonnen hatte. Dann kamen wir
dran.
Er machte die Tür auf und war so überrascht und erschrocken
zwei deutsche Soldaten hier vorzufinden. Wir hatten sofort beide
Hände hoch gehoben. Er wertete dies wohl als Angriff. Das übliche
"Hands Up" brachte er nicht hervor. Er zitterte ganz furchtbar
und bis er seine Pistole aus dem Futteral hatte verging Zeit.
Die Pistole hielt er uns vor die Nasen. Die Schrecksekunden hatten
uns gerettet und er hatte begriffen, dass von uns keine Gegenwehr
kam. Ein anderer hätte doch mit entsicherter Pistole sofort
abgedrückt, als wir ruckartig unsere Hände hoben. Draußen im
Hof mussten wir alle Taschen leeren und alle Sachen vorzeigen.
Er sprach gut deutsch und fragte uns, warum wir uns nicht gewehrt
hätten. Wir versicherten dem amerikanischen Offizier für
Deutschland sei der Krieg schon verloren. Wir mussten uns auf
die Kotflügel des Jeeps setzen und er fuhr uns nach Herbstein zu
einer Sammelstelle für deutsche Gefangene.
Für zwei Deutsche und einen Amerikaner ging alles, Gott sei
Dank, unblutig zu Ende.

Für meinen Kameraden und mich begann nun der Leidensweg der
Kriegsgefangenschaft.

In Herbstein, in einer Schule, war ein großer Raum frei gemacht
worden. Es waren etwa 50 Gefangene schon darin. Hier verbrachten
wir die erste Nacht. In der Raummitte war eine rundliche Badewanne
aufgestellt, darin konnten wir pinkeln. Haben wir überhaupt
etwas zu Essen bekommen? Mit diesen robusten LKW der
US-Armee wurden wir in die Nähe von Hanau gebracht. In einem
stillgelegten Steinbruch lagerten wir. Es regnete Bindfäden und es
hatten sich überall Pfützen gebildet. Unser Lager war übervoll.

An der Hochseite des Steinbruchs mit MGs und Panzern. Wer von
uns wollte überhaupt fliehen? Sich von den Bewachern den Todesschuss
einfangen? Zur Abschreckung schossen sie sehr oft in
die Luft. Es war die Karwoche 1945. War es Karfreitag? Wer
dachte schon von uns an den Sinn und Zweck des Osterfestes?
Ostern verbrachten wir in diesem nassen Steinbruch.
Dann ging es per LKW nach Stenei, es lag schon in Frankreich.
Die Fahrer machten sich einen JUX durch schnelles Fahren in den
Kurven. Mit 40 bis 50 Mann auf der Ladefläche, wo sollte man
sich festhalten, natürlich am Vordermann.
Einige Tage blieben wir in Stenei, dann Weiterfahrt. Über einen
Klapptritt der hinteren Klappe stiegen wir auf die Ladefläche des
LKW. Bei 40 bis 50 Mann dauerte es etwas. Ein Neger mit Kaugummi
im Mund schrie dauernd "Let's Go, Let's Go". Mit dem
Gewehrkolben schlug er mir recht kräftig auf den Rücken (Steißbein).
Ich spürte furchtbare Schmerzen und die Kameraden zogen
mich auf die Ladefläche. Wahrscheinlich hat der "Kaugummi-
Neger" noch andere geschlagen, er war der Sieger.
Wir kamen jetzt in ein altes Fabrikgelände (Ruinen), das wir später
"Steinlager" nannten. Wo lag es genau, in welcher Gegend und
wie hieß die nächste Stadt? Hier erreichte uns die Nachricht von
der bedingungslosen deutschen Kapitulation. Der Krieg war nun
aus! Für uns ging die Gefangenschaft mit Häppchenverpflegung
der Amerikaner weiter. Ein Feldprediger hielt einen Gottesdienst
ab. Als Ursachen des Krieges nannte er die Abkehr der Menschheit
von Gott. Wir alle hätten seine Gebote missachtet. Hass und
Neid und Gewalt hätte unser Leben bestimmt. Er dankte Gott für
das Ende des Krieges. Die Menschheit müsste wieder zu Gott zurück
finden! Verursacher des Krieges wären doch die Menschen
gewesen und nicht ER. Wir alle waren sehr ergriffen. Ein Kirchenlied
wurde noch gesungen: Nun danket alle Gott.
Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter nach RENNES. Warum
wir in den Nordwesten Frankreichs transportiert wurden, war uns
ein Rätsel. Was hatten die Sieger mit uns vor? Rennes war ein
riesiges Zeltlager mit 60 000 Gefangenen. Wir hörten von sehr
vielen Todesfällen im Lager. Ein riesiges Areal mit hölzernen
Wachtürmen und von Stacheldraht umgeben. Nach 1 bis 2 Wo
chen wechselten unsere Bewacher, es waren jetzt FRANZOSEN!
Die Häppchenkost der Amerikaner blieb. Seit Hanau hatte es nicht
mehr geregnet, Gott sei Dank. Die Amerikaner hatten alle deutschen
Kriegsgefangenen an Frankreich übergeben. Unsere Arbeitskraft
sollte zum Zweck der Wiedergutmachung genutzt werden.
Es sprach sich sehr schnell herum. Wir bekamen noch die
amerikanische Marschverpflegung für vier Tage Eisenbahnfahrt.
In 30 Güterwagen mit etwa 1500 bis 2000 Gefangenen ging es los.
Jeder wollte arbeiten und nach dem Wachwechsel nicht in Rennes
bleiben. Zielort der Fahrt war TULLE (Coreze), unser künftiges
Stammlager.
Mit der Eisenbahn kamen wir also in Tulle an und wurden ausgeladen
und zum Lager, es lag auf einer Höhe, getrieben. Oben angekommen,
eröffnete uns der deutsche Lagerführer, dass wir noch
nicht bei ihm in der Verpflegungspflicht seien. Gleichwohl sollten
wir noch eine Bouillon bekommen, für den Ankunftstag. Vielen
Dank! In die verlausten Baracken wollte ich nicht und andere auch
nicht. Im Schatten einer Baracke lagen wir nun auf dem Lehmboden,
Kartons und Pappe waren unsere Unterbetten. Die Sonne
meinte es gut und auch in der Nacht war es noch warm.
Auf der Uniformjacke wurde das bewusste PG aufgemalt! Prisonier
de Guerre! Wir waren alle die neuen Parteigenossen von
1945!
Da wir alle als arbeitsfähig befunden wurden, ging es von hier aus
zu den einzelnen Arbeitskommandos. Die Firma SOCIETE
GENERALE aus Paris war der Großabnehmer für die Gefangenen.
Sie wurden im Straßenbau und beim Bau von Wasserkraftwerken
eingesetzt. Mein erstes Kommando war in Argentan im
Straßenbau. Die Firma beköstigte uns mit etwas Brot und Kartoffeln.
Ausgaben von etwa 30 bis 40 alten Franc pro Kopf. Es gab
immer nur Kartoffelsuppe und trockenes Brot, Salz und dünnen
Kaffee. Manchmal gab es KUTTELN, die in die Suppe kamen.
(Hoffentlich ohne Bakterien!) Es war zum Leben zuwenig und
zum Sterben zuviel! Die tägliche Arbeit kam noch dazu. Travail,
Travail, die Arbeit macht frei!
Eines Tages hatte ich Durchfall, wie andere auch, und meldete
mich krank. Mit noch einem Kameraden musste ich zum
KOMMANDANTEN, dem der Krankenstand offensichtlich zu
hoch war. Über den Sanitäter und Dolmetscher vermittelt, sollten
wir eine KOTPROBE abliefern. Alte Blechdosen seien hinter der
Barackenwand. Die ganze Nacht Durchfall, der Darm war entleert,
konnten keine Kotproben erbracht werden. Jetzt schrie er herum,
wir seien SIMULANTEN und verdonnerte uns zur Entleerung der
LATRINE. Jetzt kam ich noch dran. Er hatte wohl schon mein
Soldbuch oder andere Nachricht, dass ich bei der 19.Flakbrigade
war.
Sie war Besatzungstruppe in Holland und stand auf der "schwarzen
Liste" der Verbrechereinheiten. Ich konnte aber beweisen,
dass ich erst ab November 1944 zu dieser Einheit gehörte. Ein
Sonderlager blieb mir, Gott sei Dank, erspart.
Durch die einseitige Ernährung bedingt bekam ich plötzlich
ÖDEME (Wasser) in den Beinen. Die Waden waren überstark
angeschwollen. Ab ins Stammlager nach TULLE ins "Krankenrevier"
und ohne intensive Heilbehandlung. Nach zwei Wochen
Besserung und auf zu anderen Arbeitskommandos derselben Firma.
War es dort besser? Drei weitere Wechsel erfolgten!
Endlich, nach 43 Monaten Kriegsgefangenschaft, wurde ich am
19.10.1948 von den französischen Siegern entlassen. 1,2 Millionen
PG's waren im Einsatz. Konrad Adenauer holte erst 1955 die
letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Russland zurück. Gemessen
an deren Leiden waren wir noch glimpflich davon gekommen.
In der Heimat wurde entnazifiziert. Nach drei Wochen hinter Stacheldraht
waren die Herrschaften wieder frei (in Recklinghausen).
Wir Soldaten haben deren ZECHE bezahlt! Mit viel Glück und
Gottes Hilfe habe ich alles überlebt!
Nach "unserem" Krieg legten die anderen Völker erst richtig los:
160 Kriege mit 50 Millionen Toten!!!

Nachtrag: Bericht Steeler Kurier


Wir standen also mit 60 bis 70 Mann in einem offenen Güterwagen
und wurden von den Siegern gefilzt. Von meinem Standnachbarn,
einem Oberfeldwebel, wollte der FILZER den Mantel haben
und bekam ihn auch. Der Oberfeldwebel trug noch alle seine Auszeichnungen
an der Uniformjacke: EK 1, Infanteriesturmabzeichen,
Verwundetenabzeichen usw.
Der FILZER hat ihn wüst beschimpft (Salo Boches) und ihm mit
einem Gegenstand das Gesicht blutig geschlagen. Dieser tapfere
Mann hatte doch nur im Kampf sein Leben verteidigt. Wir anderen
haben vor Wut geweint und konnten doch nicht helfen. Der
schussbereite Bewacher hatte alles verfolgt.
Die Redakteurin hatte diesen Vorfall nicht drucken lassen, sie hatte
auch meinen Bericht teilweise umfrisiert. Das Leiden unserer
Gefangenen in Russland hatte sie nicht erwähnt und alles nur allgemein
gehalten.


Herbert Schnoor
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dr. jur. Herbert Schnoor (* 1.Juni 1927 in Aurich) ist ein deutscher
Politiker (SPD)

Ungelöst

War dies der Monsieur Herbert? Sommer 1945. Er war Dolmet-
scher beim Arbeitskommando Argentan. Er war 18, ich war 20.
Bei einer Wahlversammlung 1993 in Steele fragte ich ihn, ob er in
Frankreich gewesen sei. Er verneinte!
Gesichter prägen sich bei mir unvergesslich ein. Diesen Menschen
kenne ich!