Samstag, 25. August 2007

Tempelhof (Kreis Soldin)

Erreichbar von Soldin mit dem Zug über Lippehne. Nebenstrecke
von Tempelhof noch zwei bis drei Dörfer weiter. Kleiner
Bahnhof mit Wirtschaft und Schuppen. Hier wurde morgens
die Vollmilch angeliefert und mit dem Zug zur Molkerei
transportiert. Abends Rücklauf mit Molke, Butter und anderem.
Gut Tempelhof, Gebäude im Viereck platziert mit großer
Toreinfahrt. Einwohner etwa 150. Vom Bahnhof führte die
Straße, es waren zuwenige Bäume links und rechts um sie Allee
zu nennen, direkt auf den Gutshof zu. Dann Abbiegung
nach links und etwa nach 500 Metern war Onkel Christians
Hof. Auf der linken Seite als letzte der Siedlerstellen, die links
und rechts, etwa 14 waren es, verteilt waren.
Der Hof bestand aus einem Wohnhaus mit vier großen Räumen,
Küche, zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer. Davor in
voller Breite die Stallungen mit der Scheune. Ein großer
Schuppen mit einer offenen Seite für Geräte und anderem. Die
Tür mit dem Herzchen war an der rechten Seite der Stallungen
(Plumpsklo). Etwa fünf Meter vor dem Hauseingang, zum
Stall hin, befand sich der Brunnen mit der PUMPE. Diese
Pumpe sollte ich dann noch sehr oft bewegen. Auf dem Hof
lebten Onkel Christian, Sohn Heinrich mit seiner Frau Martha
und Tochter LINE und Sohn Wilhelm. War seine Schwester,
unsere Oma, zu Besuch wurde sie auf dem Dachboden untergebracht.
Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch war das Inventar. In
einer Ecke lag das gebeizte Saatgut!
Es herrschte Platzmangel und ich schlief irgendwo. Viehbestand:
7 Stallkühe, 2 Kälber, 2 Pferde, Schweine und Ferkel,
die quiekten wenn sie hungrig waren, Hühner, Enten und Gänse.
Ich war also Ferienkind und HELFER auf dem Bauernhof und
Arbeit gab es genug. Beklagen will ich mich nicht, wenn auch
nicht der Fortschritt dort angekommen war.
Morgens der Ruf: Werner aufstehen, das Vieh hat Durst! Ich
also auf und den Pumpenschwengel hin und her bewegt. Der
angehängte Eimer, wenn er voll war, wurde gleich durch einen
leeren ersetzt. Das Wasser trug jemand von den Jöllenbecks in
die Tröge. Bei 15 vollen Eimern und je 10 Pumpbewegungen
hatten die Tiere genug gesoffen. Abends dann das gleiche
Spiel.
Mir wurde auch die EIERSUCHE übertragen. Überall und versteckt
hatten die Hühner ihre Eier gelegt. Die Eier kamen dann
in einen großen Karton zur Aufbewahrung. Wöchentlich kam
der Eiermann und kaufte sie auf. Vorher wurden sie in einer
Drahtkorbwaage abgewogen, denn er hatte einen Kilopreis.
Nach Eigenverbrauch blieben immer noch etwa vier Kilo zu
bezahlen.
Die Straße geradeaus weiter und dann nach rechts führte nach
Neuenburg mit 900 Einwohnern. Hier gab es einen Bäcker und
einen Fleischer. Der Bäcker wurde mit Korn beliefert wofür es
"Brotmarken" gab. Ein Mal in der Woche holte ich zwei große
längliche Brote ab. Beim Metzger kaufte ich meistens Gehacktes.
Mit einem Damenfahrrad und einem großen Rucksack war
ich unterwegs.
Abwechselnd musste die Milch zum Bahnhof gebracht werden.
Die Kannen fassten 20 Liter und hatten oben am Deckel
eine aufgelötete Kundennummer. Dazu ein Buch für die Molkerei
für die Eintragungen (Lieferung und Rücklauf). Abends
mussten die Kannen wieder abgeholt werden. Holzständer am
Straßenrand waren dienlich. Waren wir an der Reihe, musste
ich immer mit. In diesen Sommern war das Wetter immer gut
und trocken. Vor dem Haus war noch eine kleine Rasenfläche,
die mit einer Hecke umzäunt war. In dem kleinen Garten
rechts neben dem Haus wuchsen etwa 20 Sträucher mit roten
Johannisbeeren. Sie waren vermutlich überdüngt worden, denn
die Dolden hingen groß und schwer herunter. Hierzu hatte ich
freien Zugriff (Selbstbedienung). Tante Martha wollte davon
noch Marmelade kochen, aber wann? Im Nachbardorf waren
noch etwa 5 Morgen Wiese, die das HEU für das Vieh lieferten.
Der erste Schnitt war im Juni, der zweite Schnitt etwa acht
Wochen später. Das Gras musste mit Holzharken von Hand
gewendet werden und es durfte nur vollkommen trocken eingefahren
werden. Beim Wenden und Harken und Einfahren
war ich natürlich dabei. Es wurden noch Kartoffeln und Rüben
angebaut. Ein Teil für die Menschen, der Großteil war für das
VIEH bestimmt. An Getreide wurden Roggen und Weizen angebaut.
Die Felder wurden wechselseitig benutzt. Zuerst wurde
der Roggen geerntet und dann gedroschen. Der Roggen, damals
mannshoch im Wuchs, ist heute um die Hälfte niedriger.
Die Dreschmaschine war von der Siedlergemeinschaft wahlweise
benutzbar. An den Dreschtagen, ja da war etwas los!
Tagelöhner für drei Reichsmark helfen mit und auch bei übrigen
Arbeiten. Zwei Tage das fürchterliche Gebrumme der Maschine.
Das Problem war das STROH. Maschinen, die Ballen
pressten, gab es nicht. Ein Teil in den Stall zum Streuen, die
Tiere konnten ja nicht auf dem blanken Boden machen. Späterer
Dung der untergepflügt wurde. Das andere Stroh kam auf
Halde.
Es war bewundernswert wie die Jöllenbecks die Arbeit auf ihrem
kleinen Hof meisterten. Bei wem hatten sie die Landwirtschaft
erlernt? Tante Martha blieb im Haus und in der kleinen
Küche. Tante Line kochte in der Futterküche für das Vieh. Die
Kühe mussten morgens und abends gemolken werden und die
Milch wurde durch ein poröses Tuch in die Kannen gegossen.
Der Überschuss an Erzeugnissen wurde an Genossenschaften
abgeliefert. Wie viel Gewinn blieb eigentlich übrig? Ich muss
noch erwähnen, dass der jüngste Sohn Wilhelm eine Lehre im
Metallberuf in Lippehne hatte. Jeden Tag fuhr er dort hin.
Meine Oma sprach immer von ihrem jüngsten Bruder Christian.
Vermutlich ist er 1875 geboren, denn dann war er 13 Jähre
älter als mein Vater und sein Onkel. Die Kinder von Christian
passten dann besser in das Altersschema (ab 1900).
Mit Tante LINE fuhr ich öfter mit dem Damenfahrrad zu einem
5 km entfernten See. Er war klar und sandig und mit
Schilf am Rand. Wenn sie sich umzog durfte ich auf keinen
Fall hin sehen! Das Baden im See war wunderbar. Tante
LINE, eine dicke und kräftige Frau, die mit einem Willi Andersen
verlobt war. Willi, auch ein kräftiger Mann mit rötlichem
Haar, hätte gerne geheiratet. Aber der alte Andersen war
stur. Erst nach meinem Tod könnt ihr heiraten und dann bekommt
der Willi auch den Hof. So wurde Tante Line "die ewige
Braut" wie mein Bruder Heinz sagte. Ende des Krieges
wurde Willi noch Soldat und ist auch prompt gefallen. Diese
armen Menschen!
Ich konnte viel Milch trinken und abends gab es oft eine Haferflockensuppe.
Onkel Christian blies die Spelzen vom Mund
aus auf den Boden. Er hatte auch eine große Schnurbarttasse
mit einer Brücke am Rand. Er war ein zäher Mensch ohne Übergewicht,
Wo nahm er nur die Kraft her für diese schwere
Arbeit? Er hatte bestimmt einen starken WILLEN.
Ich erinnere mich an eine Fahrt mit dem hergerichteten Bauernwagen
an einem Sonntag. Tante Martha mit dem Kind, ich
und wer noch? Christian kutschierte und die beiden Pferde zogen
munter den Wagen. An dem Badesee vorbei durch die
herrliche Landschaft, fernab jeder Großstadt. Es war flaches
Land in natürlicher Schönheit. Nach zwei Stunden Hinfahrt
wieder zurück, nachdem der Proviant verzehrt war. Ich erinnere
mich auch an den Soldiner See. Die weiße Holzbrücke am
Rande über den Zufluss der Soldine?
Mein Vater brachte mich einmal nach Tempelhof. Als wir
durch Landsberg (Warthe) fuhren sagte er, dass hier der
HITLER in der Festung in Haft gewesen war. Ein Zeichen später
für mich, dass mein Vater kein NAZI war. Der HITLER
war nämlich in Landsberg am Lech eingesessen.
Mit meiner Mutter Johanna (1889-1934)
war ich auch einmal in Tempelhof. Ich erinnere mich
genau, wie wir in dem kleinen Vorgarten in der Sonne saßen.

Tante Marthas Eltern wohnten am Schweriner See in Pinnov.
Sie hatten etwa 300 Morgen Land und etwas Wald.
Durch ihre Vermittlung war ich mit meiner Mutter etwa zwei
Wochen dort zu Gast. Mein Vater hatte natürlich etwas bezahlt.
Der Bruder von Martha, ein Kriegsveteran, er hatte nur
einen Arm, fuhr uns mit der Kutsche durch die waldreiche Gegend.
Auch dies war ein schönes Erlebnis. In Pinnov wurden
wir gut versorgt und bewirtet. In welcher Jahresabfolge alles
stattfand kann ich heute, nach 70 Jahren, nicht mehr sagen. Ich
war meistens alleine, ob Sommerferien oder Herbstferien, in
Tempelhof untergebracht.
Eine Reise möchte ich noch erwähnen, die Nachtfahrt mit dem
"beschleunigten Personenzug". Unser Vater mit seinen drei
Kindern Heinz, Luise (1919-1998) und Werner brachte uns
nach Mellentin und Tempelhof. Unterwegs wurde unser Wagen
schadhaft und wir mussten umsteigen. In dem Getümmel
hatten wir die Aufforderung hierzu nicht gehört. Ich hatte im
Gepäcknetz geschlafen. So wie wir gekleidet waren rannten
wir über Bahnsteig mit Gepäck und erreichten mit Mühe den
Ersatzwagen (Zug?). Es muss etwa 1930 gewesen sein. Heinz
war auch einmal mit in Tempelhof. Auf dem Nachbarhof war
ein Mädchen namens Dora Voll, das sein Interesse erweckte.
Heinz machte 1936 Abitur mit Auszeichnung und musste danach zum MILITÄR.
1938 war ich noch einmal in Tempelhof
und musste dann zum Landjahr. Ich konnte erst mit 14 Jahren
die Lehrstelle bei der Reichsbahn bekommen.
Als Eisenbahner hatten wir Freifahrten und reisten als Kinder
meistens in der Nähe der Dienstabteile. Unser Vater reiste
auch sehr gerne. Im Dienst trug er Verantwortung musste höllisch
aufpassen.
Wenn er mit uns fuhr war es für ihn fast Erholung. Mit großer
Dankbarkeit muss ich immer an Onkel Christian denken, der
uns als Ferienkinder und Erntehelfer auf seinem Hof aufgenommen
hatte. Mein Vater zahlte zwar immer etwas und gab
immer nutzbare Utensilien mit. Die Jöllenbecks waren sozial
eingestellt und eine sehr fleißige Familie. Vermutlich sind sie
in ihrer Heimat im Krieg alle umgekommen. Der RUSSE muss
ja dort furchtbare RACHE genommen haben.

Nachtrag:

Wann die Bodenreform, Teilenteignung des Großgrundbesitzes
und Schaffung der Siedlerstellen begann, kann ich nicht
genau berichten. Onkel Christian war politischer Leiter (vielleicht
ein Mini-Orts-Bauern-Führer) und sein Sohn Heinrich
war in der SA! Beide trugen nicht sehr oft die braunen Uniformen.
Das neue REGIME wollte sich durch wohlwollende
Unterstützung und Förderung das Bauerntum sichern. Wie viel
Gelder und Leistungen hin und her flossen, Entschädigung der
Großgrundbesitzer usw. ist mir nicht bekannt. Soldin, Mellentin
und Neuenburg ist in "Meyer's Neuer Handatlas" auf Seite
91 verzeichnet. Ich kann verstehen, wenn noch heute die Vertriebenen
den Verlust ihrer wunderschönen HEIMAT betrauern
und beklagen!

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Guten Tag Herr Werner, ich bin der Sohn von Dora Bartel, die in ihrem Bericht vorkommt. Sie wird 2020 97 Jahre alt und lebt jetzt in Baden-Württemberg. Von 1950 bis 2018 hat sie in Berlin-West gelebt. Wilhelm Jöllenbeck hat Maschinenbau studiert und verbrachte sein Leben in Solingen. 2017 ist er in der Nähe von Freiburg verstorben. Er war mit seiner Frau Inge von Solingen nach Freiburg, in die Nähe seines Sohnes, in ein Seniorenheim gezogen.
Wenn sie oder ihre Angehörigen es möchten, können sie gerne Kontakt zu mir aufnehmen.