Samstag, 25. August 2007

Erinnerungen, Landjahr 1939











Ostern 1939 wurde ich aus der evangelischen Volksschule 1 zu
Essen-Kray entlassen. Der Schulrektor Koch war uns allen väterlich
zugetan. Wir mussten ja jetzt von der Schule in die
Welt der Arbeit. Herr Koch kümmerte sich um jeden Schüler
und fragte, ob er auch eine Lehrstelle habe. Durch die Vermittlung
meines Vaters, er war Lokomotivführer bei der Reichsbahn,
konnte ich am 01.02.1940 als Junghelfer bei ihr anfangen.
Am 19.06.1939 wäre ich 14 Jahre alt geworden, was die
Bedingung für die Einstellung war. So musste ich also noch
warten. Rektor Koch wollte mich noch zu einer Schule der
damaligen Lehrerausbildung vermitteln. Wir beschlossen aber,
dass ich das LANDJAHR ableisten sollte. Ich war einverstanden.
Unser Reichserziehungsminister RUST wollte den deutschen
Bauern Arbeitskräfte liefern, weil sie Ernährer des deutschen
Volkes waren.
Die Jungen machten ihr Landjahr und die Mädchen ihr Pflichtjahr.
Wer macht heute etwas freiwillig? Wir wurden also
Landjahrpflichtige und bekamen den Landjahrpass. Einkleidung
mit Uniform und den bewussten Binden war selbstverständlich.
Es bekam auch jeder einen "Affen", aber davon später.
Ostern 1939 war im März sehr früh und wir wurden schon
Ende des Monats auf die Reise geschickt. In den Osten zu den
Bauern die unsere Hilfe brauchten. Noch war Frieden und wir
konnten uns einen baldigen Krieg noch nicht vorstellen. Vom
Bahnhof Essen-Altenessen fuhren wir mit dem Dampfzug über
Berlin in die Grenzmark Posen-Westpreußen. Wo die Dörfer
von Onkel Christian/Hermann waren habe ich ja schon eingehend
beschrieben.
Also von Soldin aus etwa 120 km nordöstlich war unser
Einsatzdorf. Es hieß WARLANG und war ein kleines Kaff.
Bis Anfang Dezember waren wir hier im Einsatz. Auch hier
hatte die Bodenreform gewirkt. In dem lang gestreckten Gutsgebäude
waren wir untergebracht. Die Besitzer, es waren alte
Leute, wohnten noch am linken Ende. Wir sahen sie selten.
Vor dem Bau der wichtige Fahnenmast und davor der Feuerlöschteich.
Das Dorf hatte keine festen Straßen und war schon
etwas älter.
Aber nun zuerst zu unserer Unterkunft und seinen Bewohnern.
70 Jungen aus Kray und Steele, der Lagerführer Herzog mit
Frau und Kind wohnte auch hier. Die vier Gehilfen nannten
sich Gruppenführer.
Robert Griesel war aus Kray, Westphal, Räbiger und Neumann.
Einer trug die schwarze Uniform und sie hatten sich halt
beworben uns im Sinne der Reichsregierung zu erziehen. Zum
Personal gehörte auch die Köchin, Fräulein Valeske, eine sehr
dicke Person. Ihr mussten wir durch unseren Küchendienst
helfen. Unter der Küche war der Waschraum, der Boden war
mit Lattenrosten ausgelegt, weil das Wasser schlecht abfloss.
Unsere Schlafräume waren im Obergeschoss. Die Betten waren
doppelstöckige Holzgestelle. Wir schliefen auf Strohsäcken
und ich hatte das obere Bett genommen. Auf frischem
Stroh schlief es sich leidlich gut, weil wir ja immer müde waren.
WC war nicht vorhanden. Neben der großen Wiese war
eine große LATRINE. Wo sollten auch 70 Jungen ihre Geschäfte
erledigen, wenn kein Fließwasser vorhanden war? Im
Waschraum war nur ein Pissoir. Wir mussten ja mit der Unterkunft
zufrieden sein.
Der Tagesablauf war wie folgt: 6 Uhr aufstehen und ab in den
Waschraum. In den Schlafräumen alle Fenster öffnen, damit
der Mief sich verzog. Danach fertig machen zum Abmarsch
zum Bauern. Vorher gab es noch einen kleinen Happen als
Minifrühstück. Um 8 Uhr mussten wir bei unseren Bauern
sein. Ich hatte einen kurzen Weg und brauchte dafür etwa 10
Minuten. Einige Jungen mussten zu einem entfernten Gutshof,
sie wurden aber abgeholt. Mein Bauer hieß Hass und bewohnte
mit Frau und Kind seinen Hof. Die alte Oma war mir sehr
zugetan, was die Verpflegung anbetraf. Alle waren freundlich
und ich machte die zugewiesenen Arbeiten. Also jeden Tag einen
Kuhstall, einen Schweinestall und einen Pferdestall
AUSMISTEN! Einen Bauernhof kannte ich ja schon von Onkel
CHRISTIAN her. Zwischen Wohnhaus und Stallungen war
der große viereckige MISTHAUFEN. Den Mist lud ich in eine
Schubkarre und über eine breite Holzbohle wurde der Mist auf
dem Haufen entladen. Ich trug Schnürschuhe und graues Drillichzeug
und natürlich die Landjahr-Mütze. Schmutzig wollte
ich natürlich nicht sonderlich werden. Hatte ich gerade den
Kuhstall sauber, da platschte es bei den Kühen hinten heraus.
Der Bauer half mir und streute vorher Stroh auf den Boden.
Halbwegs sauberes Stroh blieb liegen. Etwa 10 Kühe, 3 Boxen
Schweine und 2 Pferde im Stall waren der Viehbestand. Pferde
sind doch die saubersten Tiere was den Dung angeht. Mit
der Zeit wurde der Misthaufen immer breiter und höher. Der
Mist wurde später auf die abgeernteten Felder verstreut.
Soweit der Mist mit dem ich jeden Tag zu tun hatte.
Bei der Feldarbeit und anderen Arbeiten war ich immer als
Hilfskraft tätig. Alle Hofarbeiten und Feldarbeiten wurden also
erledigt, letztere der Jahreszeit entsprechend. Für mich war also
hier die Arbeit immer gleich. Der Bauer gab mir zwei
Reichsmark Lohn wöchentlich. Hiervon mussten wir noch
Zahnpaste, Seife, Schuhcreme usw. kaufen. Der Lagerführer
verkaufte diese Sachen wohl mit etwas Gewinn.
Sonntags blieben wir im Lager und wurden voll verpflegt, wochentags
vom Bauern.
Am Sonntagmorgen hieß es dann "Heiß Flagge", in der Woche
war keine Zeit dazu. Antreten zum Flaggenappell mit dem bewussten
HH-Gruß!
Ausgang mit Besuch beim Bauern war möglich. Sport, Wehrerziehung,
politische Schulung, Singen - immer nach getaner
ARBEIT. Wir waren ja immer müde!
Eines Tages im Waschraum: Kommando Hinlegen und Abwasser
trinken (saufen?)! Der Lagerführer wollte prüfen, ob
wir auch BEFEHLE ausführten? Später bei der Wehrmacht
war ja Befehlsverweigerung strafbar. Im Übrigen verlief alles
so wie es geplant war. Ich war wohl dem Lagerführer wohl
zugetan. Er sagte immer, dass ich mal ein ruhiger Beamter
werde.
Eines Tages schickte er mich mit noch einem Kameraden zum
Landjahr-Bezirksführer nach Falkenburg. Nach 25 km Fußmarsch
kamen wir dort an und stellten uns ihm vor. Am nächsten
Tag wurde eine Vorprüfung gemacht. Man wollte die
Tauglichkeit zur Aufnahme in der Ordensburg Krössinsee testen,
die suchte nämlich Nachwuchs. (AH-Schule)

Ich lehnte ab, weil ich die Zusage von der Reichsbahn hatte.
Der Kamerad nahm an. Ob er den Krieg überlebte? Danach zurück
nach Warlang. Ein wunderbares Erlebnis für uns alle war
die GROSSFAHRT von etwa drei Wochen. (2 Gruppen) Zuerst
Richtung Swinemünde zu Fuß. Dann mit dem Schiff nach
Stralsund. Hier plagten uns beim Zelten die Mücken ganz
furchtbar. Von Stralsund über Bergen zur Stubbenkammer.
Der Affe, ein Tornister mit starkem Rahmen und Gurten war
uns sehr dienlich. Die Rückseite war ein brauner fellartiger
Belag. Um den Affen wurde eine Wolldecke und Zeltbahn gerollt
und festgezurrt. Das Kochgeschirr oben drauf. Marschieren
und Zelten war die Parole.
Der Gruppenführer sorgte für die Verpflegung und war ein
sehr guter Organisator. Die Rückfahrt kann ich leider nicht
mehr beschreiben. (Zum Teil mit der Eisenbahn) Auf der ganzen
GROSSFAHRT kein Regen.
Irgendwann bekam ich plötzlich DIPHTERIE. Es war eine
kleine Epidemie ausgebrochen, etwa 20 Kranke. Ich kam ins
Kreiskrankenhaus nach Bad Polzin, etwa 30 km entfernt. In
der Isolierstation wurden die bewussten Abstriche an den
Mandeln gemacht. Nach drei negativen Abstrichen war man
gesund!!!
Die Heilbehandlung war damals entsprechend kurz. Nach drei
Wochen kam ich zurück nach Warlang und nahm die Arbeit
und das Lagerleben wieder auf. Das Landjahr habe ich, bis auf
die Krankheit, gut überstanden.
Am 01.09.1939 brach der Krieg aus. Vor Weihnachten wurden
wir entlassen. Wir erhielten noch den LANDJAHRPASS.
Eintragung: Er erfüllte seine Pflichten.

Er war ein ordentlicher Arbeiter.

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